Meerrauschen

 

Heute beginnt der neue Chemoblock mit der Knochenmarkpunktion. Parallel zu Antibiotika und parenteraler Ernährung. Um 5.30 gibt’s Frühstück, dann schlafen wir beide nochmals tief und fest ein.

 

Die Pflegefachfrauen machen grundsätzlich alle die selbe äusserst verantwortungsvolle Arbeit. Wenn man so lange im Spital ist wie Malin, sieht man mit der Zeit wie verschieden sie in ihrem Charakter sind und ihre Aufgaben auch unterschiedlich anpacken. Das ist gut so, bringt eine willkommene Abwechslung, muss so sein. Und so gibt es die Ruhigen und Abgeklärten, die Nervösen, die Pragmatischen, die Mitfühlenden, die Aufgestellten und Lustigen, die Offenen und Fröhlichen, die Chaotischen und zu guter Letzt noch die ganz, ganz, ganz Lieben… so wie heute. Malin mag eigentlich alle gern, aber sie mag es nicht, wenn man sie wie ein 1-jähriges Kind behandelt. Mit furchtbar lieblich leiser, fast singender Stimme wird sie heute geweckt, Puls, Blutdruck und Atem kontrolliert. So viel Nettigkeit ist einfach eine Spur zu viel des Guten… Malin verdreht die Augen und kaum ist die Nette draussen, rappt sie: «das cha eifach nid sii, das halt ich nid uis…»

 

Um 10.00 begleite ich Malin nach unten in den OP-Saal. Das Dormikum wirkt schon – darauf hat sie sich einmal mehr gefreut! Sie hat schon langsam Bedenken, dass sie süchtig danach wäre…

 

Zurück auf der Station, Malin schläft noch - denke ich. Als die Nette nach etlichen Kontrollen und pausenlos lieblich singenden Erklärungen aus dem Zimmer geht, schlägt Malin prompt die Augen auf, rollt damit eine Runde und meint: «das isch definitiv nid zum Uishaltä!» Heieiei, da hat sich meine liebe Tochter einfach schlafend gestellt!

 

Alles habe tiptop geklappt, werden wir später aufgeklärt. Ich frage nach der Hormonspritze, die ebenfalls unter Narkose geplant war  – und sehe an den langen Gesichtern, dass diese vergessen ging… ebenso die Impfung.

 

EMLA- Pflaster werden geklebt – die Spritzen müssen nachgeholt werden. Zum Leidwesen von Malin, die ihre Tränen nicht zurückhalten kann. Sie hat Angst. Ich versuche sie abzulenken mit Backvideo und Händedruck. Als ich die überaus dicke Nadel der Hormonspritze sehe, muss ich mich abwenden. Ich konzentriere mich auf Malin, die mit schmerzverzerrtem Gesicht da liegt. So ein Seich! Ich weiss wohl, dass schnell etwas in Vergessenheit geraten kann, dass Fehler passieren können - es ist ja glücklicherweise nichts Gravierendes. Aber es tut mir einfach so leid, das müsste jetzt nicht auch noch sein. Malin erhält zum Trost eine spezielle Perle.

 

Um 14.00 essen wir z’Mittag. Malin versucht sich an ihren trockenen Spaghetti und ich habe Salat mit Pumpernickel. Die habe ich im Quartierlädeli hier ganz in der Nähe gekauft und finde es ganz gäbig -  dieses «Brot» ist scheinbar ewig haltbar. Malin verzieht angewidert das Gesicht  und meint: «Mami, ich glaibä deyni Gschmacksknospä sind kaputt – dass dui eso eppis chasch ässä!»

 

Nach der Spielrunde mit dem Onkopsychologen (Qwixx ist zurzeit angesagt) und der Physiotherapie kommt noch die Musiktherapeutin. Ich lege mich auch gleich auf mein Klappbett, obwohl ich befürchte, sofort einzuschlafen. Es tut wider erwarten ganz gut, den Klangschalen und diesen zart klingenden Instrumenten zu lauschen - wir sind beide richtig entspannt. Zum Abschluss kommt das «Meerrauschen». Sie fordert uns auf, gedanklich ans Meer zu reisen. Die spezielle Rassel erzeugt das Geräusch einer Brandung im Meer. Ich erinnere mich an unsere Ferien in der Toscana. Wie die Kinder stundenlang in den Wellen planschten, wie wir gemeinsam Sandburgen bauten und Joel einbuddelten, wie Malin gleichwohl wie ein Fisch kaum aus dem Wasser zu bringen war, wie Enya plötzlich einen lebenden Krebs in der kleinen Hand hielt… schön war's!