Genau ein Jahr ist es nun her, seit wir mit einigen befreundeten Familien hier bei uns zu Hause ausgiebig Silvester feierten und auf das Jahr 2017 anstiessen. Wir wünschten uns allen viel Glück und beste Gesundheit.... ein schöner Abend war's!
Knapp vier Monate später erhielt Malin die Diagnose Leukämie und alles wurde anders. Die letzten acht Monate waren rückblickend äusserst intensiv, wir als Familie kamen an unsere Grenzen. Malin musste mehrere Monate wegen schweren Komplikationen und Nebenwirkungen im Spital verbringen. Sie hat wohl kaum eine Nebenwirkung ausgelassen - sie hat das volle Programm - aber auch wirklich alles, was es irgendwie geben könnte - abgekriegt. Es war zum Verzweifeln und manchmal hatten wir das Gefühl, die Ärzte, Onkologen sowie das Pflegepersonal kamen auch an ihre Grenzen. Eine Pflegefachfrau sah mich nach einer erneuten Diagnose traurig an und fragte mitfühlend: "Wie halten Sie das überhaupt noch aus?" Ich wusste es nicht...
Im Sommer musste Malins Therapieplan überdacht werden. Die Gefahr, dass sie weitere schwere Nebenwirkungen nicht mehr überleben würde, war zu gross. Aufgrund Malins vielen Komplikationen wurde ihr Therapieplan nicht nur schweizweit, sondern europaweit mit Spezialisten beraten, abgeändert und angepasst: Ein Zytostatikum wurde ganz gestrichen, ein anderes stark reduziert, die Therapiereihenfolge geändert...
Die Liste von Malins überstandenen Komplikationen in den letzten Monaten ist lang - viel zu lang! Von Beginn weg hatte sie immer wieder sehr schlechte Blut- und Blutgerinnungswerte, brauchte bis heute 50 Transfusionen! Mehrmals bekam sie eine Sepsis (Blutvergiftung), mehrere Lungenentzündungen, Leberentzündung, hatte viel zu hohe Nierenwerte, einen Milzinfarkt, sowie eine schwere Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung). Dazu kamen die starke Mukositis (offene, entzündete Mundschleimhäute) schwere Entzündungen an Speiseröhre, sowie an Magen und Darm. Petechien, unzählige "Hautrisse" an beiden Beinen, Untergewicht, allergischen Schock, schlechte Sauerstoffsättigung, viel zu tiefe beziehungsweise zu hohe Blutdrucke, Übelkeit und Erbrechen, 16 kg Wassereinlagerung im ganzen Körper (innerhalb von drei Tagen...), viel zu hoher Blutzuckerspiegel, Clostridien, Netzhautblutungen am rechten Auge, Nervenschmerzen an Armen, Beinen, Rücken....
Drei mal wurde sie auf die Intensivpflegestation verlegt - sie war lebensbedrohlich krank - kämpfte um ihr Leben. In dieser Zeit reichte der Port (implantierter Venenzugang) nicht mehr aus, um die vielen lebenserhaltenden Medikamente zu verabreichen. Malin wurde zusätzlich operativ ein Zentralvenenkadeter am Hals und ein Zugang am Arm gelegt. Das Blutdruckmessgerät wurde direkt in die Arterie gesetzt, um den Blutdruck pausenlos messen zu können. Ein Blasenkadeter sowie eine Magensonde wurden gelegt, Malin wurde beatmet und künstlich ernährt. In den schlimmsten Zeiten führten 13 Schläuche ZU beziehungsweise IN ihren Körper und Magensonde und Blasenkadeter führten weg... Malin war an die Morphiumpumpe angeschlossen, damit die Schmerzen einigermassen erträglich waren... in dieser Phase war sie kaum mehr ansprechbar...
Dieser Anblick - wie sie so da lag - werde ich nie mehr vergessen. Diese Bilder haben sich in meinem Kopf eingebrannt. Als Eltern ist es wohl das Schmerzvollste und Schlimmste überhaupt, sein Kind so leiden zu sehen. Dieses ohnmächtige, hilflose Zusehen - dieses "Nichts-tun-können" aushalten und dabei nicht wissen, ob Malins Kraft und Lebenswille für diesen Kampf ausreichen werden....
Es ging manchmal über unsere Kräfte, löste grösste Verzweiflung und Angst aus. Oft fühlte ich mich wie erstarrt - leer - nicht mehr fähig richtig zu denken. Ich war einfach da, hielt ihre Hand, redete leise auf sie ein, hoffte, betete, bangte. In einem wachen Augenblick versprach sie mir mit brüchiger Stimme, dass sie nicht aufgeben würde. Sie versprach, weiter zu kämpfen! Nur ein einziges mal sagte sie: "Mami, etz mag ich nümme..." Das tat so enorm weh - zerriss mir schier das Herz - und trotzdem hoffte und funktionierte man weiter...
In dieser Zeit merkte ich, dass ich mich innerlich zurückzog, das "normale" Leben um mich herum ging an mir vorbei - schlimmer noch, ich ertrug es fast nicht mehr... Ich hatte nur noch Platz für Malin, für Joel, Enya und Padi. Mehr lag nicht mehr drin. Es schien, als passte ich nicht mehr in diesen normalen Alltag, zu sehr war ich gefangen in meiner Angst um Malin. Mit Padi konnte ich darüber reden, er verstand es, fühlte ähnlich. In diesen Wochen zogen wir uns zurück, brauchten alle Kraft für Malin und unsere Familie - für mehr reichte es nicht mehr.
Stets aber waren wir dankbar über die unzähligen kleinen und grossen Gesten, über die vielen wohlwollenden, stärkenden, herzlichen Worte und Zeilen von überall her - es tat gut, half uns über diese besonders schweren Wochen hinweg, half uns, wieder "zurück" zu finden. Wir sind dankbar, so herzensgute, verständnisvolle Menschen mit uns zu wissen!
Malin hat sich zurück ins Leben gekämpft! Heute sind wir wieder optimistisch und zuversichtlich. Das Lachen, der Humor und die Lebensfreude - welche eine Zeitlang verloren gingen - sind zurück. Es ist uns wohl bewusst, dass sie noch einen langen, steinigen Weg vor sich hat. Die Intensivchemo dauert noch bis zum Sommer, dann folgt ein Jahr lang die Erhaltungstherapie. Aber die härtesten High-Risk-Blöcke hat sie nun hinter sich - hat sie geschafft!
Und wir als Familie - wir sind wieder positiv unterwegs - wieder angekommen im Leben! Ich glaube daran, dass das neue Jahr nur aufwärts gehen kann - und das ist zugleich auch mein grösster Wunsch für 2018: Mit viel Zuversicht und voller Kraft - möglichst ohne Umwege - gemeinsam bärguif!