Überwindung

Die Nebenwirkungen der neuen Chemo zeigen sich langsam. Malin ist müder als sonst, zwischendurch meldet sich die Übelkeit und das hochdosierte Cortison löst Stimmungsschwankungen und ein verändertes Geschmacksempfinden (sie findet wieder alles gruusig, sogar das Wasser schmeckt komisch...) aus. Auch ihre Blutzuckerwerte steigen erwartungsgemäss wieder ins Unermessliche. Sie muss erneut regelmässig messen und mit Insulin korrigieren. Das Langzeitinsulin ist noch nicht richtig eingestellt und wird in Absprache mit den Ärzten kontinuierlich um ein paar Einheiten erhöht. Wichtig ist vor allem auch, dass sie nicht in eine Hypoglykämie fällt. Das kann passieren, wenn die Insulindosis zu hoch wäre.

Ich hole sie direkt von der Schule ab. Im Spital wird der Port angestochen und das Ambisome anghängt. Die Ärztin findet einen kleinen Umlauf am Zeh, den sie fotografisch festhalten lässt und genauestens kontrolliert. Wir erhalten eine desinfizierende Lösung, mit der wir den Zeh drei mal täglich "pflötschlä" müssen, so wie sie es nennen. Ausserdem muss er eingesalbt werden. Falls es schlimmer wird, müssen wir wieder vorbei kommen...wegen dem Zeh... das hoffe ich doch ehrlich nicht...

Irgendwann realisiere ich, dass meine Zeitberechnung zu optimistisch war - wir haben keine Chance es rechtzeitig zum z'Mittag nach Hause zu schaffen. Ich rufe Enya an, instruiere sie via Telefon, wie sie mit dem Kochen beginnen kann. Es ist nicht das erste mal - man merkt es auch an Enya, sie ist mittlerweile ein kleiner Küchenprofi und macht das schon richtig gut. 

 

Malin möchte am Wochenende mit ihren Klassengirls auf die Stockhütte, das alljährliche Schlittelrennen findet statt. Schon letztes Jahr waren sie dabei (und wurden letzte, weil sie ihren Rodel noch nicht so im Griff hatten) aber das Mitmachen und der Spassfaktor zählte, nichts anderes. Dieses Jahr wollen sie es also nochmals wissen, würden nachher gleich oben bei ihrer Freundin gemeinsam übernachten. Nur: Malin ist einfach nicht ganz so fit wie sie dafür eigentlich sein müsste... sie ist müde, zwischendurch ist ihr übel, sie klagt über Ohrenweh und Kopfschmerzen. Sie hat den Umlauf am Zeh, den man behandeln müsste und dann sind noch diese Spritzen: Fünf Insulinspritzen und eine Blutverdünnungsspritze täglich. Bisher haben Padi oder ich ihr immer die Spritzen gesetzt, aber wenn sie auf der Stockhütte ist, wird das etwas schwierig...

Also muss sie es selber lernen, aber das ist gar nicht so einfach. Es kostet einiges an Überwindung, sich selber zu stechen. Die Pflegefachfrau zeigt es ihr nochmals ganz genau vor, gibt ihr noch einige Tipps, wie es Malin vielleicht leichter gehen könnte. Und dann setzt sie sich die erste Spritze. Sie macht es wirklich gut und ich bewundere sie dafür - und weiss damit auch, wie gern sie an dieses Weekend geht, wie wichtig es ihr ist. Zugegeben, ich selber habe dabei gemischte Gefühle, ganz so wohl ist mir dabei nicht. Vor allem das Schlittelrennen macht mir etwas Sorgen - aber wir werden sie gehen lassen, weil es wichtig für sie ist und wir vertrauen darauf, dass sie selber am besten spürt, wo ihre Grenzen sind.