Wir sind auf der Fahrt ins Kispi - Malin hat die nächste intravenöse Chemo vor sich - unterwegs reden wir von Malins Onkel. Sie hat ihn nur einmal gesehen, als neugeborenes Baby im Spital, als er uns besuchte. Ich erinnere mich, wie er mit Padi im Wickelraum verschwand, um Malins Windeln zu wechseln und die drei eine halbe Ewigkeit nicht mehr kamen, weil sie ihre liebe Mühe damit hatten. Ich erinnere mich, wie er sie dann lange in seinen starken Armen hielt und wie er sie andächtig und innig anschaute, fast so als ob er spürte, dass es das letzte mal war...
Heute verjährt sich sein Todestag zum vierzehnten mal, Malin war damals 12 Tage alt - er gerade mal 25-jährig. Wie jedes Jahr läuft bei mir das "Kopfkino" von diesem unglückseligen Samstag ab...
Wir waren gerade knapp eine Woche zu Hause, Padi hatte noch Ferien und wir waren (trotz zunehmendem Schlafmangel) noch immer so voller Freude über unsere kleine Familie, die um ein Mitglied gewachsen war. Padi war der stolzeste und glücklichste Papa - er hörte immer und immer wieder in voller Lautstärke das Lied von Hubert von Goisern und Zabine "Juchitzer" und jauchzte dabei lautstark mit!
Und dann war dieser Samstag Morgen - Joel klebte richtiggehend an der Scheibe unseres Stubenfensters und schaute fasziniert nach draussen. Er rief uns herbei um zu zeigen, was er Interessantes gesehen hatte: Es war die REGA, welche auf der grünen Matte nebenan gelandet war und wir sahen, wie jemand auf einer Liege über die Hauptstrasse gerollt und im Helikopter verladen wurde. Es war Padis Bruder...
Er starb am nächsten Morgen an seinen schweren Verletzungen. Er wurde einfach mitten aus seinem jungen, bunten Leben gerissen - ermordet, von einem ihm völlig unbekannten Mann (der auf Hafturlaub war!)
Einfach so.
Grundlos.
Aus dem Nichts!
Zur falschen Zeit am falschen Ort. Es hätte jeden treffen können - es hatte ihn getroffen!
Es folgte eine äusserst schmerz- und leidvolle Zeit - voller Trauer und mit vielen Tränen. Es war ein Schock. Unfassbar. Unbeschreiblich.
Und da waren noch die vielen Fragen, auf die es nie eine Antwort gab. Wie war es bloss möglich, dass ein potentieller Gewalttäter und späterer Mörder unkontrolliert Hafturlaub erhielt und dies ausgerechnet an einem Fasnachtswochenende...? Wie kam er zu einer Waffe...? Warum...?
Was blieb, war ein bitterer Nachgeschmack, Unverständnis, auch Wut und grosse Zweifel an unserem Rechtssystem. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Geschehene war so oder so nicht mehr rückgängig zu machen.
Die Freude und das Glück über die Geburt unserer Malin wurde jäh überschattet vom plötzlichen Verlust, dem Schock, diesem bleiernen Schmerz. Freud und Leid, Leben und Tod - so nah beieinander - das war schier nicht auszuhalten und es brauchte seine Zeit, bis Padi in seiner tiefen Trauer um seinen Bruder, Malin überhaupt wieder in die Arme nehmen konnte. Padis einstiges "Glückslied" von Hubert von Goisern wurde an der Beerdigung abgespielt. Die feinen Klänge, abgelöst durch Trompete und Paukenschläge und die Jauchzer.... es passte ganz genau zur Lebensweise seines Bruders: Immer "voll Gas" mit viel Power und voller Freude! Aber auch die leisen, feinen Töne fanden stets ihren Platz. Er hatte es auf seine Art und Weise eindrücklich geschafft, alle Facetten des Lebens unter einen Hut zu bringen!
Unser "Familienschiff" war einem heftigen Sturm ausgesetzt. Es war eine schwere Zeit. Aber jeder, der seinen Bruder gekannt hatte, weiss: Gerade er hätte sich gewünscht, dass wir diesem Sturm trotzen, dass wir alle wieder aufstehen und unseren Weg unbeirrt weiter gehen und vor allem leben sollten! Er hatte es uns ja schliesslich vorgezeigt!
Die traurige, gähnende Leere wurde irgendwann - viel später - wieder gefüllt mit Dankbarkeit für die schönen, lustigen, geselligen Momente, die wir mit ihm erleben durften. Wir haben unser Glück und die Lebensfreude, auch dank Joel und Malin mit ihrer damals kindlich unbeschwerten Art, irgendwann wieder gefunden. Unser "Familienschiff" kam wieder auf Kurs...
Es bleiben die schönen Erinnerungen an einen herzensguten, bodenständigen, kreativen, naturverbundenen und vor allen Dingen lebensfrohen Menschen, die wir an unsere Kinder weitergeben. Er hätte mit Sicherheit seine wahre Freude an seinen Nichten und Neffen und wäre stolz auf sie!
Malin fühlte sich ihm stets sehr nah und verbunden, obwohl sie nur diesen einen, innigen Moment mit ihm zusammen hatte. Aber wir sind sicher, dass er gut auf sie aufpasst, vor allem auch auf ihrem jetzigen beschwerlichen Weg. Und wenn sie ihr Ziel erreicht haben wird - ihren Berggipfel - wird sicher auch er irgendwo laut jauchzen vor Freude. Ganz so, wie er es zu seinen Lebzeiten oft getan hatte!