Wartezeit

Ich brauche fast eine halbe Stunde, bis ich das Auto eis- und schneefrei bringe. Alles ist pickelhart zugefroren - das bedeutet schweisstreibender Morgensport und trotzdem werden wir es heute nicht mehr pünktlich ins Kispi schaffen. Malin meint nur trocken: "Gäll, freisch dich uf d'Garage - de muesch nimmä so schabä und chratze." In der Tat - darauf freue ich mich - sehr sogar! 

 

Heute lassen wir Pyjama, Zahnbürste und Ersatzwäsche im Auto. Falls wir dann tatsächlich bleiben, ist das ganze Gepäck schnell geholt. Zu Hause hatten wir die Taschen gar nicht erst ausgepackt - der stationäre Kurzaufenthalt steht uns ja noch bevor - wann auch immer das sein wird. Die Monate zuvor war es auch so, die Taschen standen stets griffbereit mit dem Nötigsten gepackt, so dass wir im Notfall gleich aufbrechen konnten. Das kam öfters vor. Seit Dezember allerdings stehen bei uns sonst keine Taschen mehr, alles ist versorgt. Wir mussten zwar regelmässig aber stets ambulant ins Kispi und durften dann jeweils wieder nach Hause.

 

Der nächste Chemoblock startet allerdings mit einem kurzen stationären Aufenthalt. Würde starten...

Malins Port ist angestochen, das Gutterli an "Kari" angehängt. Wir warten auf die Laborwerte. Warten - das haben wir lernen müssen. Ich will nicht wissen, wie viele Stunden, Tage, Wochen, ja Monate wir bereits gewartet haben. Auf Laborwerte, auf Befunde, bis die Gutterli leer waren, bis Mittel wirkten, auf Blutkonserven, auf Ärzte und Spezialisten, auf Kontrollen, aufs Essen, auf den nächsten Therapieblock, aufs "Nachhausegehen" - wir warteten - viel Zeit. Ich habe mich ehrlich schon gefragt: Wird diese Zeit irgendwann im Leben irgendwie zurückvergütet...? Wohl kaum.

 

Oft war draussen schönstes Wetter, Sonnenschein, so wie heute. "Die Fenster müssen IMMER geschlossen bleiben!!!" steht in jedem Zimmer in grossen Lettern geschrieben. Die Sonne bleibt ausgesperrt, die frische Luft auch - immer.

Die Wartezeiten füllen wir mit Allerlei: Reden, rätseln, lesen, spielen, essen, whatsappen, malen, dösen, schreiben, träumen, reden, lesen und nochmals reden... Und als wir monatelang im Spital waren, kamen - abhängig von Malins Verfassung - noch basteln, stricken, fernsehen, Hörbücher, Musik, bewegen, Film schauen, massieren, Fotobuch gestalten... dazu. Verkürzt wurde die Wartezeit allerdings trotz allem nicht...

 

Malin bemalt gerade einen neuen Mundschutz, wir reden und lesen und warten auf die Laborwerte. Die Actilyse (Portreiniger) wird noch angehängt. Die Ärztin kommt und bestätigt: Die Blutwerte sind wie erwartet viel zu tief, die Chemo kann nicht gestartet werden. Vor dem Mittag werden wir wieder nach Hause entlassen. Erneute Verzögerung, erneutes Warten. Das einzig Gute daran: Es ist wunderbar sonniges Winterwetter! Die Pflegefachfrau beneidet uns und würde am liebsten gleich mitkommen. 

Der nächste Termin ist am Freitag, die Taschen allerdings werden wir zu Hause nicht auspacken. Aber wir geniessen  den Nachmittag an der Sonne und im Schnee. Malin rutscht mit Enya und ihren Freundinnen gleich neben unserem Häuschen mit dem Schneerutschbrett den Hang herunter. Für mehr reicht ihre Energie nicht - aber immerhin.

 

Und wieder warten wir - diesmal bis die Blutwerte gestiegen und somit die Startkriterien erfüllt sind. Erst dann kann die Therapie weiter geführt werden.