Malin packt ihre Schultasche. Sie hat sich fest vorgenommen, nach der intravenösen Ambisomeabgabe im Spital noch die letzten zwei Deutschlektionen zu besuchen. Sie freut sich darauf, hat sie doch ihre Hausaufgaben und die Vorbereitung dazu gemacht.
Seit Dienstag ist sie müde, auffällig ruhig, oft ungewohnt gereizt. Den Grund kennen wir mittlerweile: Er heisst "Dexamethason", Cortison, welches sie wieder täglich hochdosiert einnehmen muss. Stimmungsschwankungen, zu hoher Blutzucker sowie hohe Nierenwerte, Hautveränderungen, verändertes Geschmacksempfinden sind typische Nebenwirkungen, die Malin allesamt wieder abdeckt. Alles findet sie "gruusig", sie ist ungewöhnlich reizbar, ihr Blutzucker stieg gestern Abend bereits wieder auf 24 und musste mit Insulin korrigiert werden. Alles ist irgendwie blöd und ausserdem vermisst sie ihre Haare... alle Mädchen schicken Selfies mit schönen Frisuren - nur sie hat keine.
Das Ambisome ist leer, die Portnadel bereits wieder gezogen, wir warten noch auf die genauen Berechnungen der Ärzte für das Langzeitinsulin (Levemir), das sie in den nächsten Tagen und Wochen spritzen muss, dann dürfen wir nach Hause. Die Wartezeit zieht sich in die Länge, Malin stellt missmutig fest, dass es für die Schule wohl nicht mehr reichen wird.
Und dann endlich kommen die Ärzte und klären uns auf: Malins Nierenwerte sind massiv zu hoch, der Onkologe kann sie so noch nicht ins Wochenende entlassen. Konkret heisst das: Nochmals EMLA kleben, eine Stunde warten, Port erneut anstechen, Blutproben entnehmen, Infusion wieder starten, bis ihr Flüssigkeitshaushalt annähernd im Lot ist. Malins Gesicht ist selbstredend - man sieht ihr den Frust regelrecht an. Da nützt auch der herzhafte Versuch des Onkologen sie ein bisschen aufzumuntern nicht viel. Die Mundwinkel bleiben unten, ihr Blick ernst. Sie verzieht keine Miene - sie hat kein Bock mehr, sagt sie später.
"Das ist wohl unser Berufsrisiko", meint er fast entschuldigend - mehr zu sich selber als zu uns. "Mit unseren manchmal schlechten Nachrichten riskieren wir oft traurige und enttäuschte Blicke..."
Ich rufe zu Hause an, um zu informieren und instruieren. Enya übernimmt das Kochen, Padi kommt nun etwas früher nach Hause, um ihr dabei zu helfen, da sie mit ihrem Gipsarm etwas eingeschränkter ist. Das Menü wird kurzerhand vereinfacht zu Pasta mit Sauce alle cinque P und Salat. Für uns hole ich im Spitalrestaurant etwas zu essen.
Am Abend darf sie dafür mit ihrer Pfadifreundin ans Muttertagskonzert mit und dies sogar ohne Mundschutz, da heute ihr ANC-Wert (Abwehr) sehr gut war. Das macht die heutige ungeplante Verlängerung wieder etwas wett.