Stausee

"Think positiv!" sagte das Mädchen am Freitag. Sie hat recht und meistens gelingt uns das recht gut und wir schauen vorwärts! Ich glaube daran, dass es aus allem Negativen auch Positives zu gewinnen und zu lernen gibt. Ich glaube an das Gute, auch wenn es manchmal mit Schmerzhaftem verbunden ist.

Meistens gelingt es mir, positiv zu sein. Heute nicht. Schon früh am Morgen spüre ich, es ist nicht so wie sonst, irgendwas stimmt mit mir nicht. Trotzdem gehe ich an die Einweihung des neuen Begegnungsplatzes hier in Büren. Padi hat den Platz mit der Ulme in der Mitte mitgestaltet und er freut sich sehr: Der Baum steht und die schöne runde Eichenbank um die Ulme lädt zum Verweilen ein. Also gehe ich an diese offizielle Einweihung - und dann beginnen sie plötzlich zu rinnen - die Tränen - und es will einfach nicht mehr aufhören. Ich kann nicht einmal genau sagen warum. Es sind nicht Malins tiefe Blutwerte oder die erneute Verzögerung - klar war das eine Enttäuschung, aber es war ja bei weitem nicht das erste mal, wir kennen es ja. 

Vielleicht weil die Kinder nicht zu Hause sind und ich in diesem Moment nicht "stark" sein muss? Vielleicht weil mich diese neuen leuchtenden Sterne an der "Erinnerungswand" des Spitals nicht mehr loslassen? Vielleicht weil diese tiefe Traurigkeit und die stete Angst einfach einmal raus müssen? Ich weiss es nicht, kann es schlicht nicht erklären, versuche mit aller Kraft dagegen anzukämpfen, aber es gelingt mir nicht. Meine "Stark-sein-müssen-Hülle" hat Risse, bricht in sich zusammen und das "Positiv-Denken-Gehäuse" hat ein Leck - es rinnt. Fühle mich kraftlos, leer. Meine Gegenüber sind verunsichert, schauen mich betroffen an, wissen nicht so recht wie sie reagieren sollen. Ich verstehe sie. Und nicht einmal zu Hause, als Malin munter vor mir steht, versiegen die Tränen. Sie rinnen einfach weiter - den ganzen Tag lang - fast so, als ob die Schleusen eines vollen Stausees geöffnet worden wären...

Malin schaut mich erschrocken an, es macht ihr fast Angst, mich so aufgelöst zu sehen. Sie versucht mich zu trösten - sie MICH! Wie verkehrt ist DAS denn?

Erst gegen Abend scheint der Stausee endlich leer. Wir bekommen spontanen Besuch von Enyas Gotti - es tut gut. Langsam finde ich wieder zu mir und zu meinen alten Lebensgeistern. Beruhigend. Und ich schaue wieder vorwärts und weiss: Wir schaffen das - gemeinsam schaffen wir das!