Wir sind nur für kurze Zeit als Familie komplett, Joel reist schon heute für zwei Wochen in die Westschweiz, um seine Französischkenntnisse etwas aufzupolieren. Ganz freiwillig geht er freilich nicht, es ist eine Vorgabe der Schule.
Seinen Lagerkoffer hat er also ausgepackt und mit den gewaschenen Klamotten gleich wieder gefüllt. Jetzt sind wir unterwegs nach St. Oyens, einem kleinen, idyllisch gelegenen Dörfchen im Waadtland. Die Anfahrt ist lang, weshalb Malin und Enya zu Hause bleiben. Malin darf mit ihrem Götti in den Zirkus, Enya geht zu ihren Cousins. Joel schläft - noch müde vom Lager - schon bald auf dem Rücksitz ein.
Während der Fahrt versuche ich, gedanklich mein französisch Voci aus den wohl hintersten Stellen des Gedächtnisses hervor zu klauben und einige gängige Verben zu konjugieren. Obwohl ich die Sprache sehr mag, ist es schon eine ganze Weile her, seit ich das letzte mal französisch gesprochen habe. Man merkt's - viel will mir nicht mehr einfallen, die Ausbeute ist zu meinem Bedauern mager.
Wir werden herzlich empfangen von der uns gänzlich unbekannten Familie mitsamt Töchter, Schwiegersohn, Onkeln und Grossmutter. Das anschliessende Apéro mit regionalem Weisswein lockert etwas die Zunge, sogar das französisch geht immer leichter von den Lippen. Bröckchenweise finden und kombinieren wir immer wieder neue Wörter und Sätze (auch komplett falsche), was manchmal für ziemliche Erheiterung sorgt. Beispielsweise muss Padi auf die Toilette und fragt in diesem Zusammenhang: "Ou est la piscine…?" Ein solches hätten sie leider nicht, meinten sie lachend, vielleicht in ein paar Jahren... eine Toilette hingegen schon!
Am späteren Nachmittag machen wir uns wieder auf den Heimweg - ohne Joel. Er wird wohl mit gemischten Gefühlen hier bleiben, jedoch in zwei Wochen - an einer neuen Erfahrung und einigen Franz-Vokabeln reicher - nach Hause kommen. Ich freue mich jetzt schon!
Malin sitzt vor ihrer Abendration an Kapseln und Tabletten, ihre Beine schmerzen, wie immer. Sie ist frustriert, Tränen rinnen über die Wangen und es schüttelt sie richtiggehend durch. "Ich wett nümmä!" schluchzt sie. Ach, wie verstehen wir sie! Wir umarmen sie stumm und Enya hält ihre Hände. Keiner sagt etwas. Was auch? Es gibt keine passenden Worte dazu. Wir können nur für sie da sein...