Es ist bereits der dritte Besuch bei der Ärztin für integrative Medizin und auch zum dritten mal fahren wir bei schönstem Wetter mit dem Schiff dorthin und verbinden so das Nützliche mit dem Schönen. Es wird zu einem Tagesausflug, eine kleine, wohltuende Herbstreise.
Heute ist dieser andauernde Schmerz das Hauptthema. Malin wird dazu befragt und muss - wie schon oft - einteilen auf einer Skala von 1-10. Null ist gar kein Schmerz, zehn ist ein wirklich sehr grosser Schmerz. Ich bin selber gespannt auf ihre Antwort, denn Malins Schmerzempfinden ist irgendwie nicht so vergleichbar mit anderen. Die von ihr angegebenen Werte müssen stets nach oben korrigiert werden. Die Ärzte wissen es mittlerweile. Wenn Malin eine 5 angibt, wäre es bei anderen wohl schon eine 8...
Etwa ein Jahr ist es her, als sie auf der IPS lag, an der Morphinpumpe angeschlossen und der Arzt sie nach der Schmerzskala fragte. Ich sah es ihr an und wusste, dass sie oft von grossen Schmerzen geplagt wurde. Ausserdem ist bekannt, dass eine so schwere Bauchspeicheldrüsenentzündung äusserst schmerzhaft sein muss. Immer dann, wenn der Schmerz zu arg wurde, durfte sie auf den Knopf eines kleinen Kästchens der Schmerzpumpe drücken. So wurde eine zusätzliche Dosis Morphium ausgelöst und direkt in ihre Venen abgegeben. Damit sie keine Überdosis riskierte, wurde die Pumpe so eingestellt, dass nach dem Drücken eine minimale Pause eingehalten werden musste, vorher funktionierte es gar nicht mehr. Das war manchmal hart - die Wartezeit schien sich oft schonungslos in die Länge zu ziehen...
Malin überlegte damals und antwortete leise: "eppä 1,5" Der Arzt sah sie etwas ungläubig an - 1,5 - damit hatte er wohl nicht gerechnet, musste sich wohl aber selber eingestehen, dass diese Zahl nicht wirklich aussagekräftig sein kann - und Malin selber, sie weiss rein gar nichts mehr davon...
Diesmal ist es nicht so: Mit den Schmerzmitteln bewegt sich der Schmerz zwischen 5 und 7, ohne Schmerzmittel ist er bei 8,5 bis 9, sagt sie. Ich bin überrascht und auch die Ärztin schaut sie schier entsetzt an: "Das ist ja schlimm, das darf so nicht sein! Der Schmerz müsste auf die 2 gesenkt werden können! Daran müssen wir unbedingt arbeiten!"
Sie fragt uns, ob es uns recht sei, wenn sie zusätzlich ihren Mann beiziehen würde, um ganz spezifisch gegen diese Schmerzen vorgehen zu können. Er ist ebenfalls Arzt und spezialisiert auf integrativmedizinische Schmerztherapien.
Ausserdem bringt sie Malin bei, wie man mit Selbsthypnose den Schmerz zwar nicht unbedingt wegbringt, aber besser damit umgehen, ihn kanalisieren und den "inneren Schalter" regulieren kann.
Ihre Knie und Beine werden zur Entlastung zusätzlich getapet und mit Hilfe von Akupunktur sowie Homöopathie sollen die Schmerzen weiter vermindert werden.
Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass nun ganzheitlich, in ganz verschiedene Richtungen gearbeitet wird. Die Schulmedizin ist in unserem Fall unumgänglich, aber wir sind froh um die zusätzliche integrative Unterstützung. Die komplexen Verknüpfungen, die vielen Zusammenhänge und deren Auswirkungen sind äusserst spannend, bringen uns immer wieder zum Staunen - und Nachdenken. Malin selber fühlt sich wohl, ernst genommen und gut aufgehoben. Wir auch.
Das sonnige warme Wetter lädt geradezu ein, sich eine Weile auf die nächste Sonnenterrasse zu setzen, bevor wir dann das Schiff nach Hause nehmen. Wir haben vor, in Beckenried am See noch ein Glacé zu geniessen. Gerade als wir uns nach einem Platz umsehen, hören wir vom Restaurant her ein Klopfen an die Scheiben, schauen hoch und erblicken meine Tante und mein Onkel, die uns freudestrahlend zu sich winken. Jetzt fällt es mir wieder ein: Hier wird heute der achtzigste Geburtstag meines ältesten Onkels, sowie das jährliche Gedächtnis meiner Grosseltern gefeiert. Da Grossmami aus einer Grossfamilie mit 15 Kindern stammt, erwartet uns eine entsprechend eindrückliche Schar von Onkeln und Tanten mit Partnern. Alle beginnen sie zu klatschen, als Malin etwas verunsichert mit ihren Krücken ins Säli tritt. Welch berührende Szene - Applaus für die Kämpferin! Der Jubilar freut sich - sichtlich gerührt - über den "Überraschungsgast" und lädt uns gleich zu unserem Glacé ein.