Seit jeher schreibe ich Tagebuch. Nicht lückenlos, manchmal mit monatelangen ja sogar jahrelangen Pausen dazwischen. Seit Malins Diagnose aber wieder oft.
Das erste halbe Jahr schrieb ich meine Eindrücke, Gefühle, Erlebnisse aber auch Fakten, Daten und Zahlen von Hand in ein Buch, konnte dieses am Abend zuklappen und weglegen. Der Tag war darin versorgt. Ich empfand ein grosses Bedürfnis, ja fast schon ein Drang zum Schreiben, damit der Kopf wieder frei wurde und ich überhaupt wieder parat für den nächsten Tag war. Wenn ich zwei, drei Tage nicht schreiben konnte, wurde ich nervös und der Kopf schien fast zu platzen - zu voll fühlte er sich an.
Und so kam es, dass ich - meistens wenn Malin schlief - Schreibstift und Heft in der Hand hielt. Zeit genug hatte ich im Spital, ich füllte vier Bücher und Hefte - einfach für uns.
Damals tauchte mehrmals der Vorschlag auf, einen Chat einzurichten, damit das Umfeld und die Familie gesamthaft über Malins Therapieverlauf informiert würden. Aber die Vorstellung, dass es bei allen über so lange Zeit regelmässig surrt und piept und sie vielleicht Nachrichten bekommen, die sie so gar nicht unbedingt wollen, gefiel uns nicht, hielt uns schliesslich davon ab.
Andererseits war es uns wichtig offen zu kommunizieren und zu informieren - an all jene, die interessiert waren und uns begleiteten. So entstand die Idee mit der Website und dem Blog dazu. Für mich als computertechnischer Banause war die Gestaltung der Seite eine rechte Herausforderung. Nichts desto trotz: Genau heute vor einem Jahr wurde "Baerguif" aufgeschaltet.
Sicher, das Schreiben ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Aber spielt es eine Rolle, ob ich in ein Tagebuch oder eben auf "Baerguif" schreibe? Nicht wirklich. Das Aufschreiben hilft mir, ist meine Art der Verarbeitung. Gleichzeitig ist es auch ein Weg gegen das Vergessen. Man vergisst so schnell - und so viel. Bei manchen schwierigen Zeiten mag das ja ganz hilfreich sein. Gewisse Momente möchte man lieber nicht so lange in Erinnerung behalten. Und doch: Wenn wir manchmal selber "zurücklesen", welche grossen Hürden Malin schon genommen hat, dann verhilft uns dies auch zu neuer Zuversicht. "Weisch nu?... Und DAS alles han ich scho gschafft! Das wo nu chund, schaff ich ai nu!"
Rückblickend hat unsere Offenheit sehr viel Positives bewirkt. Viele waren uns sehr dankbar für die Möglichkeit selber nachlesen und sich informieren zu dürfen, ganz gleich wann.
Malins Weg wird immer ein wichtiges Thema für uns sein, worüber geredet wird - und auch geredet werden darf - aber es gibt uns als Familie die Chance, dass sich nicht mehr ausschliesslich alles darum dreht, sondern auch anderes wieder Platz findet. Unsere Offenheit machte vieles einfacher und es hat zu einer für uns wichtigen und wohltuenden Ruhe geführt. Gleichzeitig spürten wir, wie viele uns in Gedanken begleiteten: Immer wieder aufmunternde, stärkende Worte und Zeilen, spontane Besuche und so viele wohlwollende, schöne Gesten. Zeichen dafür, dass wir nicht allein unterwegs sind - dafür sind wir allen sehr dankbar!
In den letzten eineinhalb Jahren haben wir eigentlich nichts nennenswert Grossartiges erlebt. Wir waren weder am Meer noch in schönen Städten, Häfen, Hotels oder Zeltplätzen, haben keine hohen Berge erklommen, konnten keine grossen Ausflüge oder Ferien machen. In diesem Sinne hatten wir nichts Spannendes zu erzählen. Aber dafür sind es die kleinen, so gewöhnlichen, ja fast belanglosen Dinge des Alltags, die an Bedeutung gewonnen haben und wichtig für uns wurden! Besondere Begegnungen, innige Gefühle, lustige, tiefgründige, traurige, berührende, schmerzvolle, naturnahe, erfüllende, wunderbare Momente, die aus den vielen kaum nennenswerten "Kleinigkeiten" etwas Besonderes machten!
Erinnern wir uns irgendwann noch an den Spitalclown, der Malin die elf Leuchtsterne an die Betthalterung geklebt und mit Glückspulver bestreut hat? Oder an ihr wettbewerbsmässiges "Unbedingt-lange-wach-sein-wollen" vor der Narkose? An die 600 Gramm Gewichtszunahme, die uns alle zum Strahlen brachte, weil sie daraufhin heim durfte? An das Klavierspiel mit ihren Freundinnen an der Weihnachtsmesse? An unsere Rodelfahrt mit Sturz in den Wald? Den erneuten ersten Schultag? An die zwei Pfadilagertage und die Woche davor? An Malins unzähligen trockenen, humorvollen Kommentare trotz der ganzen Misere? An all die herzlichen Begegnungen mit Freunden, die stummen Umarmungen und die vielen kleinen und grossen Gesten und Überraschungen?
Es gibt sie - trotz allem noch - die glücklichen Momente! Man muss sie nur als solche erkennen und möglichst festhalten können. Denn sie laufen Gefahr, durch die tristen Zeiten verdrängt und letztendlich vergessen zu werden. Darum habe ich viele davon im "Bärguif" aufgeschrieben. Ein Jahr lang. Es sind Momentaufnahmen unseres derzeitigen Weges.
Spätestens dann, wenn Malin ihren Berggipfel erreicht hat und die schöne Aussicht hoch verdient geniessen kann, werden diese nicht mehr nötig sein.
Unser Ziel bleibt der Gipfel, aber unser Blick richtet sich unterwegs immer mehr auf das vermeintlich Unbedeutende am Wegrand. Auf die kleinen Dinge, die für einen Moment ein Lächeln ins Gesicht zaubern und glücklich machen können. Darum geht's.
Wir haben lernen müssen, traurige Momente und Rückschläge anzunehmen um sie dann möglichst schnell wieder los zu lassen. Und die glücklichen Momente zu erkennen und sie festzuhalten - auch wenn sie noch so klein sind. Sie geben uns die nötige Kraft um weiter zu gehen. Scheinbar Belangloses bedeutet oft mehr als das scheinbar Wichtige!