Prioritäten

Die Schule hat wieder begonnen, jetzt heisst es täglich: Früh morgens aus den Federn! Für Malin noch etwas früher, da sie die ersten Medikamente eine halbe Stunde vor dem Frühstück einnehmen muss.

Langsam aber sicher haben wir auch den Stundenplan besser im Griff. Da es Malin mit ihren schmerzenden Beinen weder mit dem Velo noch mit dem Bus in die Schule schaffen kann, fahre ich sie zum Schulhaus. Hin und her - und wieder zurück - rund zehn mal am Tag. Jeweils auch bei den Zwischenstunden oder den Sportlektionen, damit sie sich in dieser Zeit etwas zu Hause ausruhen kann. Meistens legt sie sich dann hin und schläft innert Kürze ein. Diese zeitlich kurzen "Ruheinseln" sind wichtig für sie.

Wir haben uns mittlerweile an diesen intensiven Fahrdienst gewöhnt und es hat sich eigentlich ganz gut eingependelt, sogar mit meinen eigenen Arbeitszeiten passt es recht gut überein. Ändern können wir es ohnehin nicht und ein Ende ist nicht absehbar. Dass aber genau in diesem Jahr gefühlt sämtliche Strassen (Engelbergstrasse, Mürgstrasse, Wilstrasse) in eben diese Richtung saniert werden, kommt uns nicht gerade entgegen. Die eigentlich recht kurze Fahrzeit wird so um viel Wartezeit verlängert. Dafür wird uns durch das unfreiwillig regelmässige Warten vor dem Lichtsignal und dem "Mitverfolgen" der Baustelle über all die Monate einmal mehr bewusst, wie hart diese Strassenbauarbeiter arbeiten und dies bei jeder Witterung. Täglich - bei Regen, Wind, Hitze oder Kälte! 

 

Malins Start mit dem regulären Unterricht ist bemerkenswert gut geglückt. Einige der anfänglichen Zweifel sind bereits weg. Sie hat nicht nur sozial den Anschluss gefunden, sondern auch schulisch wieder anknüpfen können. Das ist alles andere als selbstverständlich und sie darf mehr als zufrieden mit sich sein. Ihr grosses Pflichtbewusstsein und ihre zähe Ausdauer kommen ihr auch hier zugute. Manchmal jedoch setzt sie sich wohl selber zu sehr unter Druck und es kommt zu diesem unguten Gefühl der Überforderung. Alles wird zu viel, die Belastung zu gross. Dann liegt es an uns zu beschwichtigen, sie aufzumuntern, zu bestärken und ihr dabei zu helfen, die Prioritäten wieder richtig zu setzen. Denn das Wichtigste ist und bleibt ganz klar ihre Gesundheit! Alles andere kommt - irgendwann und auch egal wann - danach! 

 

Für sie bedeutet die Schule wieder ein Prise Normalität. Wenn man so lange nicht mehr zur Schule durfte, respektive konnte, schätzt man sie anders. Man lernt nicht unbedingt lieber oder macht sicher nicht freiwillig mehr Hausaufgaben. Aber man schätzt den einen Ansatz eines normalen Teenagerdaseins, lebt damit einen grossen Teil mit, nämlich den täglichen Schulalltag mit allem was dazu gehört. Reklamieren über die vielen Hausaufgaben, jammern und ausrufen weil man etwas noch immer nicht checkt, dazwischen reden, lachen, lernen, motzen, zuhören, diskutieren, verzweifeln über die vielen Tests... und so vieles mehr! Schule halt - aber genau das tut ihr gut, auch wenn es bisweilen sehr anstrengend für sie ist und die Müdigkeit hie und da Überhand nimmt. Ist ja auch kein Wunder mit diesen vielen Medikamenten und der zusätzlichen täglichen Chemo. Aber sie hat, mit Ausnahme der ausfallenden Stunden aufgrund von Spital- und Arztterminen, alle bisherigen Lektionen besuchen können. Die Abwechslung, die feste Tagesstruktur, ihre Schulkollegen - sie lenken ab, verhelfen zu neuem Auftrieb, geben ihr aufbauende Bestätigung und sie ist - und das ist besonders wichtig - wenigstens in der Schule wieder mit dabei! Und dies mit ihrer gewohnt offenen Art und bemerkenswert oft mit einem Strahlen im Gesicht!