Bereits am Morgen ist der erste Arztbesuch angesagt für die Blutentnahme. Wir warten. Malin grinst und fragt: "Chasch das?" bebt mit ihren Nasenflügeln und wackelt mit den Ohren. Ja, kann ich. Wir weiten unser Repertoire an besonderen "Talenten" aus, rollen die Zunge und heben einzeln die Augenbrauen. Sieht witzig aus und wir haben es beide recht gut im Griff, hören mit den Faxen dann aber abrupt auf als die Ärztin in den Raum tritt, in ihrer Hand das Blatt mit den aktuellen Blutwerten. Da Malin seit drei Tagen über immer wieder auftretende Bauchschmerzen klagt, wird zusätzlich ihr Bauchraum abgetastet und nochmals Blut entnommen, diesmal von der Armbeuge. Die Symptome deuten auf die Leber hin und in der Tat sind deren Werte leicht, aber noch nicht besorgniserregend erhöht.
Am Mittag fahren wir dann los nach Baselland zu einem nächsten Professor, ebenfalls Orthopäde, spezialisiert auf Kniegelenke. Padi kommt wiederum mit, obwohl er zurzeit fast versinkt in der Arbeit und sich die Stunden richtig wegstehlen muss. Trotzdem möchte auch er gerne hören, was der Professor zu Malin meint. Während der Fahrt essen wir ein Sandwich, pünktlich kommen wir an. Wir warten. Irgendwann kommt die Assistenzärztin etwas aufgeregt, meint sie hätten Malins Unterlagen und das Bildmaterial gar nicht. Das kann nicht sein, ich habe doch wiederholt nachgefragt in Luzern und es wurde bestätigt, sie hätten alle Bilder nach Basel geschickt.
Nein, sie hätten nichts.
Sie entschuldigen sich mehrmals für die Unannehmlichkeit, drücken uns Getränkegutscheine in die Hand und schicken uns in die Cafeteria. Sie kämen uns holen, falls sie denn soweit seien. Nach einer Stunde Wartezeit haben sie noch immer nichts, Padi wird langsam ungeduldig, was ich durchaus verstehe. Im Büro wartet ein Stapel Arbeit und er hockt hier untätig in der Cafeteria des Spitals - zum Warten verknurrt. Ein regelrechte Geduldsprobe. Hätte er dies gewusst - es wäre ein einfaches gewesen, ein paar Pläne und Unterlagen einzupacken. Aber so warten wir tatenlos. Ich rufe nochmals in Luzern an, Basel bräuchte dringend die Bilder, das kann doch nicht so schwer sein, diese zu verschicken. Ich bleibe freundlich, aber meinen Unmut kann ich wohl dieses mal schlecht verbergen, hört man mir wohl an. Im dümmsten Fall war unser "Ausflug" vergeblich und wir fahren unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Das ist nervenaufreibend und ärgerlich - wir sind ohnehin schon ziemlich angespannt - sowas bräuchten wir definitiv nicht auch noch. Am Ende kam heraus, dass die Bilder sehr wohl schon länger geschickt worden waren, aber an die falsche Klinik...
Nun denn, nach zweieinhalb Stunden werden wir dann doch noch aufgerufen.
Die nette Assistenzärztin untersucht Malin, zeigt etwas ratlos auf die Bilder am Monitor und sagt: "Solche Bilder habe ich noch nie gesehen. Dazu kann ich nichts sagen. Der Professor wird gleich kommen."
Und der Professor nimmt sich Zeit, erklärt die Schwierigkeit an Malins Beingeschichte. Auch er stellt fest, dass dies so ausgeprägt eigentlich nicht vorkommt. Erst recht nicht bei so jungen Patienten. Er zeigt uns die grossflächigen Nekrosen und den Knorpel, der sich abgelöst hat, da der "abgestorbene" Knochen diesen nicht mehr nähren und halten kann. Die Idee seines Berufskollegen mit der Operation findet er grundsätzlich eine mögliche Lösung. Aber er betont auch die Schwierigkeit dieser Operation. Anhand eines Kniemodelles erklärt er uns mit einfachen, verständlichen Worten, worin diese Schwierigkeiten liegen. Es klingt alles einleuchtend, drückt aber immer schwerer auf meinen Magen.
Und dann mahnt er Malin eindringlich zur Schonhaltung ihrer Beine, denn einzig die "Hülle" hält ihre Knochen noch zusammen. Also keine Belastung, kein Druck, keine Schläge. Gehen ausschliesslich mit Stöcken. Der Knochen sowie der Knorpel dürfen auf keinen Fall auseinanderbrechen. Das wäre dann das schlimmste, was passieren könnte.
Und dann? Was ist dann? Prothesen? Er winkt ab. Knieprothesen in diesem Alter? Die Hüftprothesen, die sind heute wirklich gut - aber die Knieprothesen - die sind es noch immer nicht. Das Knie ist viel zu komplex, als dass man dieses durch eine Prothese annähernd ersetzen könnte - auch heute mit unserer fortgeschrittenen Technik nicht.
Einen Funken Hoffnung kann er uns jedoch mitgeben: Malin ist noch sehr jung, ihre Zellteilung ist damit viel schneller als beispielsweise unsere, was bedeutet, dass sich auch ihre Knochen besser regenerieren könnten.
Auch alternativen Methoden gegenüber (zum Beispiel Schallwellentherapie) ist er offen eingestellt, wir könnten es versuchen - vielleicht hilft's? Versprechen kann er nichts.
Er wird einen Bericht schreiben und ein neues MRI anordnen lassen um zu sehen, wie sich die Knochenstruktur in den letzten Monaten verändert hat. Malins Schmerzen deuten allerdings eher nicht auf eine Besserung hin, und trotzdem - vielleicht sieht es ja wenigstens ein bisschen besser aus...?
Müde und stumm fahren wir nach Hause - es ist bereits stockdunkel und es regnet in Strömen. Passt irgendwie. Durch die nassen Scheiben leuchten die vielen roten Rücklichter, wir stecken mitten im Abendverkehr. Malin ist eingeschlafen - und wir hängen schweigend weiter unseren Gedanken nach.