In den letzten Tagen fiel mir auf, dass Malin sehr oft Durst und einen trockenen Mund hatte. Sie war auffällig müde, schlief manchmal fast ein bei den Hausaufgaben und sie nahm ausserdem an, unsere Personenwaage sei defekt, weil diese fast fünf Kilogramm weniger anzeigte als noch das letzte mal. Ich hatte ein ungutes Gefühl und fragte gestern bei der wöchentlichen Blutkontrolle die Hausärztin nach Malins Blutzuckerwerten. Sie liess sie nachträglich testen und leider wurde mein Verdacht bestätigt: Der Blutzuckerwert lag bei 25 - um ein Vielfaches höher als der Normalwert (zwischen 4 und 7,8). Noch gestern Abend wurden wir telefonisch ins Kispi aufgeboten.
Nun sind wir unterwegs. Enya liegt mit Fieber zu Hause im Bett, zum Glück konnte das Grosi einspringen und nach ihr sehen.
Wir warten. Und dann kommen sie, der Chefarzt persönlich sowie der leitende Facharzt für Stoffwechselerkrankungen und stehen vor Malins Bett. Ihr Blutzuckerwert sei weiter angestiegen. Ausführlich, mit verständlichen Worten und ergänzt mit bildlichen Beispielen erklären sie die Zusammenhänge sowie die Folgen von Malins neuestem Krankheitsbild: Bei ihr wurde Diabetes Typ 1 diagnostiziert!
Peng!
Da ist es wieder einmal - dieses Gefühl, das wir mittlerweile zur Genüge kennen: Diesen neuerlichen schmerzhaften Schlag in die Magengrube, dieses Gefühl, irgendwie im falschen Film zu sein....
Die Ärzte klären uns auf. Malins Zellen in der Bauchspeicheldrüse produzieren kein Insulin mehr. Nichts. Es sei nicht vergleichbar mit damals, als die Insulinproduktion durch das hochdosierte Cortison aus dem Gleichgewicht geriet und sie vorübergehend Insulin spritzen musste.
Jetzt geht gar nichts mehr. Und das nie mehr.
Malin liegt irgendwie teilnahmslos in ihrem Bett, hört nur zu, sagt nichts. Was haben wir erwartet? Dass sie schreit? Weint? Flucht?
Nichts. Keine Gefühlsregung. Wieder eine bittere Pille, die es zu schlucken gilt. Wieder so ein Stolperstein, der gross und quer im Weg liegt...
Eine Woche müsse sie stationär bleiben, damit sie richtig eingestellt werden kann. Zusätzlich muss sie sattelfest Bescheid wissen, wie man den Blutzucker misst und korrigiert und wie man die Kohlenhydrate aller Mahlzeiten umrechnet in die nötigen Einheiten Insulin, die dafür gespritzt werden müssen.
Malin schaut mich an - eine Woche - aber Joel hat doch heute Geburtstag und wir haben Gäste eingeladen am Abend...
Der Arzt scheint Mitleid zu haben und er macht uns ein Angebot - eine grosse Ausnahme, wie er betont: Wir dürften nochmals nach Hause für eine Nacht, müssten regelmässig die Blutzuckerwerte messen und anrufen, damit er die zu korrigierenden Insulinwerte berechnen kann. Morgen dann müsste Malin definitiv ins Kispi einrücken. Wir gehen den Deal ein.
Nach dem für uns "bitteren" Teil folgt nun der "süsse" Teil des Tages: Joels Geburtstag. Wir sind gerade noch rechtzeitig zu Hause, um die von ihm gewünschten Sushi-Rollen zu füllen, rollen und schneiden und den vorbereiteten Kuchen zu dekorieren, bevor die ersten Gratulanten eintreffen: Gotti, Götti, Grosseltern, Cousins. Und alle tun wir so, als wäre nichts, obwohl bereits alle über Malins neue Diagnose Bescheid wissen. Aber irgendwie hilft das sogar und es ist trotz allem ein schöner Geburtstag - für alle.
Erst spät, als alle gegangen sind, sagt Padi: "Ich könnte heulen!"
Ich auch.
Wir trösten uns gegenseitig, denken an den Anfang unserer Familie zurück, an das kleine "Hämpfeli Bueb", das wir genau vor 17 Jahren das erste mal überglücklich in den Armen halten durften. Heute überragt er mich um einiges und muss (wie Padi) aufpassen, dass er mit seinen Kopf nicht an unsere niederen Holzbalken stösst.
Wir sind wahnsinnig stolz auf ihn, obwohl er es nach wie vor locker schafft, uns gelegentlich so richtig auf die Palme zu bringen. Zum Beispiel dann, wenn er seine kleine Schwester so lange plagt und provoziert, bis diese laut schreiend (wirklich laut!) angerannt kommt.
Bevor Malin krank wurde, war vor allem sie sein angestrebtes Ziel. Er konnte nie an ihr vorbeigehen, ohne sie zu kneifen oder sonst irgendwie zu piesacken. Seit dem 24. April 17 hat er sein Zielobjekt geändert - Malin lässt er in Ruhe, dafür bekommt die Kleinste einiges mehr ab.
Als Malin erkrankte, kam es mir vor, als wäre Joel von einem Tag auf den anderen abrupt aus seiner Pubertät gerissen worden. Lange Monate war er auffällig ruhig und zog sich oft zurück. Verständlich, es war für uns alle eine schwierige Zeit, die Angst um seine Schwester war allgegenwärtig. Und obwohl wir stets versucht waren, einigermassen "normal" als Familie weiter zu leben, gelang uns das sicher nicht immer. Das war prägend und bestimmt nicht einfach für ihn, erst recht in der Pubertät nicht.
Mittlerweile ist er wieder "ganz der Alte", wird seiner Rolle des grossen (manchmal gemeinen aber im Grunde herzensguten) Bruders wieder voll und ganz gerecht. Er ist ein typischer Teenager mit allem was dazu gehört und - er hat ein grosses Herz am rechten Fleck!
In der Schule übertreibt er es nicht unbedingt mit lernen, macht berechnend das Nötigste - vielleicht ein bisschen mehr - und ist damit zufrieden. Mehr braucht es nicht - durchkommen ist das Ziel - so seine Devise. Bis jetzt ist sein Plan durchaus aufgegangen, für uns ist es allerdings nicht immer ganz so einfach, seiner "Lernstrategie" (die eigentlich keine ist) zuzusehen. Bis Ende Jahr muss er das Thema für seine Maturaarbeit definiert haben und irgendwann sollte er auch eine Idee haben, welche Richtung er beruflich einschlagen möchte. Bisher sind diese Ideen eher spärlich, aber wir sind uns sicher, er wird seinen Weg finden. Wir dürfen gespannt sein in welche Richtung.
Auf jeden Fall hat er ein gutes Umfeld, wirklich gute Kollegen und auch in der Pfadi wirkt er aktiv mit und freut sich jetzt schon auf das nächste Pfadilager!
Joel kommt in meinen Einträgen weniger vor als die Mädchen. Dies nicht etwa, weil ich ihn vergessen hätte oder es nichts über ihn zu schreiben gäbe - nein, er hat sich dies so gewünscht, als wir damals über den Start dieser Webseite gesprochen hatten. Und ich halte mich weitgehend daran. Mit einigen wenigen Ausnahmen - so wie heute, seinem Geburtstag!
Happy Birthday Joel - du bist ein grossartiger Sohn! Mach weiter so, wir sind so richtig stolz auf dich und unglaublich froh, dass du bei und mit uns bist!