abgehakt

Schon lange zählen wir nicht mehr mit, wie viele verschiedene Schmerzmittel und Schmerzmittelkombinationen Malin bereits ausprobiert hat. Es sind viele...

Wir fahren rund eine Dreiviertelstunde in die Praxis der Integrativmedizinerin und des Facharztes für Schmerzen und Anästhesie. Die Stimmung während der Fahrt ist wenig euphorisch, denn eigentlich müsste Malin für mehrere Tests lernen, die sie zum Teil noch nachholen muss. Nun werden wir wieder rund drei Stunden weg sein - missmutig starrt sie in die Dunkelheit und in das grelle Licht der entgegenkommenden Fahrzeuge.

 

Der Arzt schaut sie fast ein bisschen hoffnungsvoll an und fragt, ob die letzte Kombination vielleicht geholfen hätte?

Genau diese Frage hat Malin erwartet. Und sie hat mich bereits auf dem Weg dahin gefragt, was sie denn bloss darauf antworten solle - denn langsam ist es ihr unangenehm, immer das selbe sagen zu müssen - nämlich: "Es hed neyd gnützt. Isch immer nu gliich…"

"Sag wie es ist", rate ich ihr. Nur so kommen wir weiter - irgendwann vielleicht finden wir endlich etwas, das wirksam ist.

 

Verschiedene Medikamente werden an und mit Malin ausgetestet, mit dem kinesiologischen Muskeltest. Die Ärztin hat dies schon oft angewendet und jedes mal schaue ich fasziniert zu und bin erstaunt über die klaren Ergebnisse. Malin selber sagt, es sei ein eigenartiges Gefühl, sie könne den Arm nicht bewusst steuern...

Ein neues Schmerzmittel wird in Erwägung gezogen, dafür alle anderen abgesetzt. Für dieses Mittel brauchen wir ein spezielles Rezept - es läuft unter "natürliche Betäubungsmittel" und wird separat registriert. Die Ärzte klären uns auf: Es kann zu Müdigkeit, Übelkeit oder sogar zu Halluzinationen führen. Zum Spass fügt er ein Beispiel an: "Weisst du, es ist fast wie bei Snapchat, wo man sich plötzlich mit langen Ohren und grossen Augen sieht - oder so ähnlich..."

Malin lächelt, weiss jedoch noch nicht so recht, was sie davon halten soll. Das sind ja "schöne" Aussichten - aber wenn es hilft, die Schmerzen zu lindern, möchte sie es probieren. Einmal mehr.

 

Bisphosphonat - ein Medikament, das nun bereits von mehreren Ärzten (Onkologen, Gynäkologen, Endokrinologen, Orthopäden) erwähnt wurde. Und auch die Integrativmedizinerin weiss von einem Patienten, dem es sehr geholfen hat. Es soll massgeblich den Knochenaufbau unterstützen und klingt erfolgsversprechend, wurde jedoch bisher kaum bei Kindern und Jugendlichen angewendet. Die Langzeitfolgen kennt man ebenfalls nicht. Man weiss jedoch, dass es in seltenen Fällen zu schwer therapierbaren Kiefernekrosen führen kann. Das wäre dann dasselbe, wie Malin bereits an Knie und Schulter hat.

"In seltenen Fällen" - wenn ich das nur schon höre, sehe ich Alarmstufe rot!

Wie oft schon hat Malin genau diese so selten auftretenden Ausnahmefälle in Form von schlimmen Nebenwirkungen "abgedeckt". Immer und immer wieder hörten wir Sätze wie: "Das kommt so fast nie vor... - ...nur eines von 100 Kindern - ...nur eines von 1000 Kindern... - eigentlich kommt das so gar nicht vor... - es ist für uns auch nicht erklärbar..."

Malin hat seit Beginn ihrer Therapie eine Komplikation nach der anderen "gesammelt" und dabei kaum eine ausgelassen, ihre Liste ist lang - zu lang.

Beim Gedanken an dieses neuerliche Medikament ist uns einfach nicht wohl - und das schon eine ganze Weile. Was ist, wenn genau sie auch da zu den seltenen Fällen gehört?

Ich frage die Ärztin, ob sie dieses Medikament ebenfalls an ihr austesten könne, um zu erfahren, ob es für Malin eine Möglichkeit wäre - oder eben nicht.

Niemand von uns weiss, was auf welchem Zettel steht, sie sind zusammengefaltet. Malins "Antwort" könnte deutlicher nicht sein, ihr Arm bleibt hartnäckig oben bei dem einen Zettel - wir lesen nach - drauf steht: NEIN!

Die Ärztin schaut ebenso überrascht wie wir, hakt nochmals nach: "Wegen den Nebenwirkungen?" 

"JA!"

Ich weiss nicht genau, was ich denken soll. Ich habe irgendwie gehofft, eine Bestätigung zu erhalten, dass dieses Medikament auch Malin helfen könnte. Stattdessen ist die Antwort ganz klar "NEIN" - jedenfalls so lange, bis die Chemotherapie ganz abgeschlossen sein wird.

Andererseits bin ich auch froh über diese klare Ansage beziehungsweise Absage. Für den Moment wird dieses Medikament für uns kein Thema mehr sein. Vorübergehend abgehakt - neue Ansätze sind gefragt...