am Strand

Es ist wohl ein eigenartiges Gefühl. Malin steht früh morgens vor dem Spiegel und betrachtet nochmals in aller Ruhe ihren Port. Den implantierten Katheter, über welchen unzählige Zytostatika, Transfusionen, Lösungen, Medikamente... direkt in ihre Venen flossen. Es waren so viele Gutterli und Beutel - und dies in verschiedenen Farben und Grössen...

Dazu wurde jeweils das kleine implantierte "Kästchen" angestochen. Auf der rechten Seite ihres Halses erkennt man schwach den Katheter, der eine Schlaufe bildet und zum Port führt. Damals, als sie noch gegen das Untergewicht kämpfte, zeichnete sich der Port noch ausgeprägter unter der Haut ab. 

Vielen tat dieser ungewohnte Anblick wohl fast ein bisschen weh, Malin allerdings störte sich nie an ihm. Der Port war einfach da - gehörte dazu. Basta.

Und jetzt kommt er weg, nach fast zwei Jahren. 

Auch die letzte Lumbalpunktion wird heute sein.

Alle fragen erwartungsvoll: "Freust du dich darauf? Endlich wieder ein Schritt vorwärts...! … ein grosser Schritt!"

Sie aber sagt nicht viel dazu. Es scheint, als müsste sie das ganze noch irgendwie richtig realisieren und einordnen. 

 

Um 7.15 stehen wir im Lift mit noch einer jungen Ärztin. Es ist die Chirurgin, wie sich kurz darauf herausstellen sollte.

"Wenn ich das gewusst hätte, hätten wir mit unserem Aufklärungsgespräch bereits im Lift beginnen können!" sagt sie lächelnd und stellt sich uns vor.

Sie bespricht nochmals kurz den Ablauf, wie der Port entfernt wird, klärt über mögliche Risiken auf und hält uns die letzten Papiere zum Unterschreiben hin.

"Der 19. März '19 - was für ein besonderes Datum um den Port zu entfernen!"

Ja wirklich, fällt mir jetzt erst auf.

Wir fragen sie noch, ob während der Narkose auch gleich all die "Stuttgarter" Fäden an beiden Beinen entfernt werden könnten. Denn davor hat Malin etwas Schiss. Kein Problem, sie können.

 

Kurze Zeit später wird Malin (erneut im schicken Spitalhemd) mit dem Bett nach unten in den Vorbereitungsraum gerollt. Auch ich werden mit Haarhaube, Schuhschutz und Mäntelchen ausgestattet.

"Dui gsehsch total komisch uis!" lacht Malin mich aus.

Die Anästhesistin zählt einige mögliche Düfte für die Maske auf. Malin wählt "Apfel". Mit einem apfelgrünen Stift wird die Innenseite der Atemmaske bemalt, nun sollte es nach Apfel riechen.

"Weisst du schon einen schönen Ort, wo du im Traum hingehen willst?" fragt der Narkosearzt.

"A Strand", antwortet sie.

"Sehr gut!"

Und dann beginnt er ausführlich von einem wunderschönen sonnigen Strand zu erzählen mitsamt Strandverkäufer, Sonnencreme die nach Kokos riecht, Meer und Palmen. Er beschreibt die Szenerie bis ins kleinste Detail und dermassen gut, dass ich am liebsten ebenfalls den Kopf auf Malins Schragen gelegt hätte, um in diesen Traumbildern zu versinken.

Malin selber atmet ruhig durch die aufgesetzte "Apfelmaske", schliesst langsam die Augen. Plötzlich sperrt sie sie wieder angestrengt auf, bis sie dann ganz zufallen. 

Später sagt sie mir, sie hätte uns damit klar machen wollen, dass sie noch nicht richtig tief schlafe - und die Chirurgen auf keinen Fall schon mit "schnippeln" anfangen dürften...

 

Ich verabschiede mich, gehe an die frische Luft, kaufe das letzte mal Lösli und etwas zu essen ein im Quartierladen. Das wars. Wie oft war ich in den letzten beiden Jahren wohl hier? Vielleicht haben sie gedacht, ich wäre eine Anwohnerin. Nun ziehe ich also weiter...

 

Die Operation verläuft reibungslos. Alles gut. Der Port ist draussen, die letzte Hirnwasserpunkton gemacht. Ich werde in den Aufwachraum gerufen, setze mich neben Malins Bett, bis sie richtig wach ist und nicht mehr mit dem Monitor überwacht werden muss. Ihr Port liegt säuberlich verpackt neben ihr auf dem Bett. Als Andenken - sie wollte es so. Ich bin überrascht, wie gross dieses Teil tatsächlich ist!

Die Glukoselösung wird abgehängt, das Venflon entfernt und die Einstichstelle mit einem grossen Pflaster beklebt. Ein Hase ist liebevoll drauf gemalt und die Pflegefachfrau bestätigt, sie würden die Pflaster jeweils eigenhändig verzieren. Schön - besonders, dass auch Malin ein solches Designerstück erhält, obwohl sie schon zu den Grossen gehört. Sie freut sich nämlich genauso über den Hasen wie wohl der kleine Patient neben ihr.

 

Zurück auf der Station erhält sie auch noch die Perlen für die "Operation" sowie die "Lumbalpunktion". Die Onkologin bespricht mit uns die aktuellen Blutwerte und die neuerliche Dosierung der peroralen Chemo. Sie wird wieder auf 100% erhöht.

Noch rund sechs Wochen, dann ist auch das geschafft!