Geschenkt

Woche 1.

Alles ist anders. Die Kids sind den lieben langen Tag zu Hause. Die Grossen nutzen die Gunst der Stunde, schlafen aus, während sie sich dann gegen Abend doch noch zum Lernen aufraffen. Oder so tun als ob.

Und unsere tendenziell eher hyperaktive Kleinste bastelt, backt, zeichnet, turnt, räumt auf und um, organisiert ihren Schultagesplan.

Ihre anfängliche Euphorie über die plötzlich so langen "Ferien" verfliegt so schnell wie sie gekommen ist. Sie realisiert bald, dass die neue Situation keineswegs nur lustig ist. 

Nun sitzen wir also am Tisch, machen zusammen Matheaufgaben und wenn sie nicht auf Anhieb alles versteht, wird sie recht schnell ungeduldig und findet alles blöd. Da ist sie nicht die einzige.

Die erste Woche gilt es, gemeinsam den Rank zu finden, einen geordneten Tagesablauf mit einer Struktur zu schaffen.

Zum Beispiel teilen wir das Kochen auf. Jedes Kind kocht an einem Mittag. Am Sonntag Abend wird geplant wann und was sie kochen wollen. Eine zusätzliche Herausforderung ist dabei klar die Einschränkung durch unsere momentane Ernährungsumstellung. 

Die lässt so einige Lieblingsmenüs schonungslos wegfallen - was nicht nur gut ankommt.

 

 

Woche 2.

Es pendelt sich ein. Joel mutiert zur Nachteule, arbeitet vor allem abends und nachts, schläft dafür am Morgen. (mit Ausnahme an fix gesetzten Prüfungsterminen und Videochats mit Lehrern und Schulklasse.) Seinem neuen Arbeitsrhythmus kann ich wenig Positives abgewinnen, muss aber zu meiner Schande eingestehen, dass er mich sehr an meine eigene Schulzeit erinnert. Also sage ich nicht viel dazu, denn trotz durchaus plausiblen Einwänden wäre ich kaum glaubwürdig. Solange er seine geforderten Sachen erledigt, lassen wir es laufen.

Bei ihm steht derzeit vor allem die Frage im Vordergrund, ob und wie die anstehenden Maturaprüfungen durchgeführt werden können. Das wird sich wohl in den nächsten Wochen zeigen.

Malin braucht etwas mehr Unterstützung, aber auch sie arbeitet sehr selbständig und holt sich die nötige Hilfe bei ihren Klassengspändli. Sie findet, sie hätten sogar fast mehr Unterricht als normal und ist entsprechend intensiv an der Arbeit.

 

Wochen 3 und 4.

Es läuft. Die grossen zwei organisieren sich selber. (Zu welcher Tages- beziehungsweise Nachtzeit auch immer...)

Und auch die Kleinste ist top durchorganisiert. Punkt acht Uhr (wehe, ich wecke sie zu spät, sie hat schliesslich Schule!) sitzt sie am Tisch und beginnt mit ihrem "Unterricht". Sie stellt sich den Wecker für jede Lektion, dann gehts weiter nach ihrem Plan. Sie ist äusserst zackig, gewissenhaft, strukturiert, selbständig. Ohne Durchhänger, ich staune. Sie schreibt die geforderten Aufträge im Compi auf und schickt sie der Lehrerin über meine Email- Adresse zu. Alles macht sie selber. Erst wenn sie irgendwo ansteht oder etwas nicht versteht, bin ich an der Reihe. Sei es bei Mathe- und Deutschaufgaben oder beim Einüben sowie Aufnehmen eines Französischdialogs. 

Der Wecker geht ab, die letzte Lektion für heute ist vorbei, schnell wird alles zusammen gepackt. Zuviel macht sie definitiv auch nicht. Keine Minute. Man müsse es ja nicht übertreiben, findet sie, durchaus zu Recht.

Und so bleibt uns nebst Homeschooling viel Zeit zum malen, kochen, basteln, backen, turnen, gärtnern... und wir haben Spass dabei!

 

Es ist uns bewusst, für viele ist diese Covid-19-Zeit schwer, gar eine Tragödie. Einige erkranken daran, andere können nicht mehr arbeiten und geraten so in existenzielle Nöte und Ängste. Und das Ausmass ist noch lange nicht fassbar. 

 

Aber es gibt immer eine Kehrseite, die durchaus auch positiv sein kann. Bei vielen - auch bei uns.

In den letzten drei Jahren hatten wir zusammengezählt sehr viel Zeit im Spital verbracht, um Malin auf ihrem Weg zu unterstützen, zu begleiten und ihr beizustehen. Oft hätte ich mich als Mutter am liebsten zweigeteilt. Die eine Hälfte bei Malin, die andere bei Joel und Enya. Ging nicht. 

Und so habe ich zwangsläufig so einiges verpasst und ertappe mich immer mal wieder dabei, wie ich manchmal dieser verlorenen Zeit mit den Kindern nachtrauere. Joel ist erwachsen geworden und auch Enya hat sich sicht- und spürbar fast sprunghaft entwickelt, ist kein kleines Mädchen mehr. 

Durch die momentane Familien-Isolation verbringen wir nun intensiv viel Zeit miteinander und es ist eine ganz besondere, erholsame Ruhe eingekehrt. Keine Trainings, keine Wettkämpfe und Rennen, keine Schule, kein Besuch, niemand. Nur wir. Immer geht es nicht harmonisch zu und her, muss es auch gar nicht. Aber es gibt uns das Gefühl, ein wenig gemeinsame Zeit mit den Kindern zurück gewonnen zu haben. Ein gutes Gefühl.

 

Heute hilft mir Enya beim Kochen. Wie so oft kann sie kaum ruhig dastehen, hüpft und wackelt von einem Bein aufs andere, während sie die Zwiebel schneidet und dabei Rotz und Wasser heult. Trotzdem quasselt sie pausenlos und stellt irgendwann mit ernster, mitleidiger Miene fest: 

"Mami, dass DU das aushalten kannst mit mir - ich hätte mir schon lange ein Klebstreifen auf den Mund geklebt...!"

Ich muss laut herauslachen. Soviel zum Thema Selbstreflexion.