Halbzeit

 

"Und...? Spürt ihr seit der Umstellung einen Unterschied?" werden wir oft gefragt. 

Wir fühlen uns nicht wesentlich anders. Weder viel besser aber sicher auch nicht schlechter.

Gut spürbar ist allerdings die rege Tätigkeit des Darms. Der findet unseren neuen Speiseplan grossartig. Er hat seine einstige Trägheit abgelegt und scheint in Hochform aufzulaufen. Das, was er in die Röhre kriegt, mag er und verarbeitet er unverzüglich und zuverlässig mit einer noch nie dagewesenen Effizienz.

Also ein durchaus positiver Punkt. Ein weiterer netter Nebeneffekt: Die überschüssigen Kilos, die sich so lange so hartnäckig hielten, kriegen ihr Fett weg und reduzieren sich sicht- und spürbar.

Doch, wir fühlen uns gut - und gesund. Malin hat seither weder Herpes noch sonst ein viraler Infekt. Nichts.

Das eigentliche Ziel ist damit erreicht!

So lässt es sich durchaus leichter auf das eine oder andere verzichten oder man nimmt den beträchtlichen Mehraufwand für Einkauf und Zubereitung eher in Kauf. Für eineinhalb Liter Selleriesaft täglich brauchen wir zum Beispiel fast eine Stunde Zeit! (Waschen, rüsten, entsaften, sieben und anschliessend Reinigung des Geräts.) 

Ein grosser Aufwand für einen grünen Saft auf nüchternen Magen, der weder besonders gut schmeckt (manchmal sogar ganz gemein bitter) noch appetitlich aussieht in seinen variablen Grüntönen. Malin hat sich noch immer nicht daran gewöhnt und trinkt den Saft stets mit zugekniffenen Augen und Nase, damit sie möglichst wenig davon schmeckt und ja nicht grün sieht.

 

Da sind noch einige andere Hürden, die wir zurzeit grosszügig überspringen... Bis anhin bemühten wir uns nämlich, möglichst saisonal und regional zu kochen. Die Kinder wussten, dass es (zu ihrem Leidwesen) im Winter weder Eisberg- noch Kopfsalat und schon gar keine Tomaten oder Beeren gab. Wie sehr freuten wir uns jeweils im Frühling, Zuckerhut und Endivie gegen Kopf- und Eichblattsalat zu tauschen! Welch ein Genuss waren die ersten hiesigen Erdbeeren oder die eigenen Tomaten! Und jetzt?

Täglich rüsten wir nun fast zwei Kilo Stangensellerie für den morgendlichen Drink. Eine ansehnliche Menge, wenn man bedenkt, dass Stangensellerie nicht in allen Lebensmittelgeschäften erhältlich ist und derzeit auch nicht in der Schweiz geerntet wird. Er wird aus Spanien importiert.

Da kommen wir bereits ins Dilemma, denn wir wissen um die zunehmende Wasserknappheit in den Anbaugebieten Südspaniens, welche weitläufig Seen und Bäche austrocknen lässt, aber auch um die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der dortigen Plantagenarbeiter.

Dass wir jetzt Unmengen an Sellerie aus Spanien rüsten, macht Mühe. Ebenso die Herkunft diverser Ei- und Milchersatzprodukten aus Soja und Cashewkernen oder der wilden Heidelbeeren....

Für diese vier Monate springen wir über diesen Schatten - dann werden wir weiter sehen.

 

Seit zwei Monaten haben wir nun also unsere Ernährung radikal umgestellt. Halbzeit. Nie hätte ich gedacht, dass wir das so konsequent durchziehen könnten. In den letzten Jahren verzichtete ich jeweils während der Fastenzeit auf Schokolade - und klopfte mir dafür schon weiss Gott wie anerkennend auf die Schultern! 

Dass wir jemals auf dermassen viel mehr verzichten würden - das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Und Malin, sie zieht mit - das ganze Programm - Hut ab!

 

Das Essen schmeckt gut. Auch gut. Und doch vermissen wir (noch) einiges. Nicht primär die Schokolade und das Süsse - erstaunlicherweise. Sondern eher ein Stück feinen Alpkäse, einen Topf herzhafter Älplermagronen, ein gutes Glas Wein, eine Pizza mit Rohschinken, Ricotta und Rucola, einen Tomaten-Mozzarella-Salat, eine auf dem Feuer gegrillte Wurst mit Senf, ein selber gemachtes Erdbeertörtli und... - ehrlich gesagt - schon noch so einiges mehr...

 

Nein, immer einfach ist dieser Verzicht nicht. Die grösste Schwierigkeit liegt wohl am "Gesamtpaket". Nur auf Eiprodukte oder Milchrodukte oder Gluten oder Zucker gänzlich zu verzichten - das wäre gut machbar. Aber auf alles zusammen...? Das schränkt sehr ein und die Zubereitung der Mahlzeiten wird entsprechend aufwändig.


Nichts desto trotz, wir haben in dieser Zeit enorm viel dazu gelernt, haben viele neue Nahrungsmittel, Gewürze und Gerichte kennen gelernt. Und wir kaufen noch viel bewusster ein. Das hat zur Folge, dass wir einiges aus unseren Küchenregalen verbannt haben, auch zukünftig.

Wir studieren Deklarationen und Inhaltsstoffe noch kritischer, damit wir wissen, was genau auf unseren Teller kommt. Es würden wohl viele darüber staunen, was sie an Zusatzstoffen (diverse Zuckerarten, Säurungsmittel, Verdickungsmittel, Geschmacksverstärker, Emulgatoren, Farbstoffen, Stabilisatoren,.... - um nur einige davon zu nennen) tatsächlich unwissentlich (mit)essen... und dies täglich.

 

Halbzeit - zugegebenermassen begleitet von einem leichten Durchhänger.

Aber, weiter geht's im (Ess)Takt. Die zweite Hälfte steht an!