Erster Schultag. Malin startet heute Morgen einigermassen entspannt ins vierte Schuljahr. Am Nachmittag ist bereits wieder Basel angesagt.
Für Enya allerdings ist heute alles neu, sie kennt weder Schulbetrieb noch Klasse. Sie behauptet zwar ernsthaft, "total locker" zu sein, mein Eindruck ist allerdings ein anderer: Nervös stampft und scharrt sie mit den Füssen auf dem Küchenboden und kommt mir vor wie ein junges Rennpferd vor dem Start.
Sie wird das schon packen, da bin ich mir ganz sicher.
Stimmengewirr - es scheint, als wären die "Basler" zurück. Beim Anblick von Malin muss ich mich aber erstmal hinsetzen: Ihr T-Shirt ist blutverschmiert, die linke Wange bereits bläulich verfärbt und geschwollen und längs entlang der Augenbraue ist eine Wunde mit Steristrip fachmännisch versorgt worden. Der Bügel ihrer Brille ist abgebrochen, vertrocknetes Blut klebt in den Haaren. Sie hält eine "Kotztüte" in der Hand.
"Was ist passiert?" will ich wissen.
Sie hätte in der Überdruckkammer einen epileptischen Anfall gekriegt. Plötzlich sei ihr schwarz geworden, sie sei auf den Kopf gestürzt (deshalb die Verletzungen), hätte eine Weile stark gezittert, erbrochen und sei dann bewusstlos liegen geblieben.
Aufgrund des Überdruckes konnte man die Tür nicht sofort öffnen um ihr zu helfen - zuerst musste der Druck abgebaut werden - lange bange Minuten des Wartens...
"Sicher ai schrecklich gsi für diä andere i dä Chammerä!" meint Malin mitfühlend und hat schon schier ein schlechtes Gewissen deswegen.
Im Moment ist ihr noch übel, sie erbricht hie und da - blutig - nicht gerade beruhigend. Das Atmen fällt ihr schwer, man hört es am rasselnden Geräusch. Sie hätte Erbrochenes eingeatmet, sagt Malin dazu erklärend, was im dümmsten Fall zu einer Lungenentzündung führen könnte.
Der Arzt ruft an, hörbar betroffen, möchte genau wissen wie es ihr geht. Er erklärt, ein solcher epileptischer Anfall sei eine mögliche Nebenwirkung der Überdrucktherapie. Es komme jedoch ausgesprochen selten vor, in den letzten 30 Jahren nur dreimal.
Er instruiert uns, worauf wir achten sollten und fordert uns auf, bei Komplikationen sofort den Notfall im Spital aufzusuchen und uns jederzeit bei ihm zu melden - auch wenn es mitten in der Nacht sei.
Ich packe mein Bettzeug und richte mich bei Malin im Zimmer ein. So kann ich hören und sehen, wie es ihr geht und notfalls reagieren. Wir kennen es schon.
Die Nacht verläuft ruhig. Sie ist müde und schläft durch. Am Morgen erbricht sie noch ein letztes mal, immer noch blutig, aber sie sieht immerhin ausgeruht aus. Der Schlaf hat ihr gut getan.
Der Arzt ruft in regelmässigen Abständen an, erkundigt sich nach ihrem Befinden. Alles soweit in Ordnung. Er fügt an, er würde Malin vor der nächsten Therapie genau durchchecken, den Druck in der Kammer in Zukunft um ein Drittel senken, mehr Pausen einlegen und weniger Sauerstoff geben. Auf diese Weise sollten weitere Epianfälle vermieden werden können. Ausserdem - klärt er uns auf - sei Malin jetzt nicht Epileptikerin: Dieser Anfall sei vornehmlich auf die Therapie zurück zu führen und sollte so, mit den neuen Einstellungen, nicht mehr vorkommen.
Keine zehn Rösser würden sie je wieder in diese Kammer bringen, sagt Grosi unmissverständlich, als sie Malins Gesicht sieht und die Geschichte dazu hört. Da ist sie wahrscheinlich nicht die einzige.
Auch uns beschleicht ein mulmiges Gefühl beim Gedanken an die weitere Therapie. Wir sagen nichts dazu, möchten sie nicht unnötig beunruhigen.
Der Arzt fragt, ob sie nach der ganzen Geschichte eine kurze "Überdruckkammer-Pause" einlegen wollte? Er würde sie verstehen.
"Nei, es gahd scho, ich mache wiiter!"
Malin steckt es mit der ihr typischen Gelassenheit weg. Ein Punkt mehr auf ihrer langen Liste an unerwarteten Nebenwirkungen. Sie nimmt ihn zur Kenntnis, hat ihn aber bereits wieder abgehakt und schaut nach vorn.
Ihr erster Schultag wurde wider Erwarten doch ein ungewöhnlich turbulenter Tag - mit Knock out, Schramme und blauer Backe!