"Ich wünsche mier uf Wiehnachte Prothese."
Bestürzung. Betretenes Schweigen. Müssen das Gesagte erst setzen lassen.
Wortlos räumen wir weiter die Abwaschmaschine ein, die Gedanken durcheinander. Aus heiterem Himmel sagt sie sowas.
Was sollen wir darauf antworten?
Es fällt uns nichts ein.
In letzter Zeit haben die Schmerzen wieder zugenommen. Die Krücken sind wieder vermehrt im Einsatz. Immer mal wieder stöhnt sie laut auf oder krümmt sich vor Schmerz. Es ist auch uns aufgefallen. Irgendwie wollen wir es wohl einfach nicht wahrhaben. Nicht nach den ganzen Therapien. Es MUSS doch einfach besser sein!
"Du weisst, was das bedeutet?" frage ich vorsichtig.
"Ja - eis Jahr pro Bei."
Pragmatisch.
Sie weiss es. Ein grosser Eingriff. Sie hat in der REHA ein Mädchen kennen gelernt, welches aufgrund eines Tumors am linken Bein eine solche Teilprothese hatte. Ein Jahr hatte sie gebraucht, bis sie damit richtig gehen konnte. Und dann kam unerwartet dieser schlimme Infekt und sie musste die Prothese wieder entfernen lassen. Neue Prothese. Noch ein Jahr. Weitere REHA. Ich habe dem Mädchen damals nichts angesehen, Malin hingegen schon. Sie erkannte an der Gangart, dass etwas mit dessen Beinen war. Sensibilisiert wie sie mittlerweile darauf ist.
Aber eigentlich wünscht sie sich keine Prothesen.
Eigentlich wünscht sie sich einfach, dass diese Schmerzen endlich weg sind. Dass sie, nach nun fast vier Jahren, wie andere Siebzehnjährige mit Kollegen unbeschwert unterwegs sein und sich bewegen kann. Dass sie den Schulweg wieder selber unter die Füsse nehmen und somit freier und unabhängiger sein kann.
Und irgendwann vielleicht sogar schmerzfrei spazieren, wandern, rudern, tanzen, schlitteln, snowboarden...?
So verständlich!
Der Winter bremst sie erneut aus. Ihr "Turbo", der ihr im Sommer ansatzweise zu neuer Freiheit verhalf, steht derzeit meist ungenutzt im Keller. Bei Schnee und Eis ist es schlicht zu gefährlich für sie mit dem E-Bike. Ein Sturz liegt nicht drin.
Letzten Freitag hatte sie erneut einen grossen Check im Spital. Sonographie der Nieren und des Bauchraums, MRT des Kiefers (durch die Bisphosphonattherapie könnten Kiefernekrosen entstehen) und der Beine. Alles soweit in Ordnung, keine Auffälligkeiten. Auch die Blutwerte sind gut. Aufatmen.
Bei den Beinen allerdings kann die Onkologin auf den ersten Blick leider keine wesentlichen positiven Veränderungen feststellen. Sie wird die Bilder umgehend nach Basel zur Orthopädie schicken, damit die Fachärzte die aktuellen Bilder genauer analysieren können.
Sie ist neu auf der Station, die Onkologin. Sie ist ausgesprochen nett, macht einen sehr kompetenten Eindruck, weiss wovon sie spricht - und sie ist witzig. Wir sind beeindruckt, wieviel sie von Malin weiss, obwohl sie sie noch nie gesehen hat zuvor. Sie hat offenbar einige Akten gelesen.
Während sie Malin untersucht, fragt sie sie beiläufig nach der Schule.
"Was ist dein Lieblingsfach? Mathe?"
Malin zögert, räuspert sich und noch ehe sie antworten kann, wird sie von der Onkologin lachend erlöst:
"Ok, nächstes Thema..."
Gerettet, denn Mathe gehört ganz sicher nicht zu Malins Lieblingsfächern.
Abschliessend erklärt die Ärztin, dass sie auf sämtliche Befunde der verschiedenen Fachärzte warten, alles zusammenfassen und dann alle mündlich beziehungsweise schriftlich darüber informieren würde. Sonst gäbe es ein Durcheinander - und sowas möge sie gar nicht.
Wir sind positiv überrascht. Malin wurde mittlerweile zu vielen verschiedenen Fachärzten weiterverwiesen, umso wichtiger wären gegenseitige Information und Transparenz. Bisher klappte dieser Informationsfluss leider nicht immer reibungslos. Folglich mussten oft wir Auskunft geben über aktuelle Werte, welche Medikamente wofür in welcher Dosis Malin einnehmen musste, sowie über den Verlauf verschiedener Kontrollen und Therapien. Für uns Laien nicht einfach, da äusserst komplex. Nun klingt es grad so, als ob sich diesbezüglich etwas ändern würde. Das wäre erfreulich - und entlastend.
Bleibt zu hoffen, dass die Orthopäden im aktuellen MRT durchaus eine positive Veränderung in der Knochenstruktur und einen alternativen, möglichen Weg zur Regeneration sowie zur Linderung der Schmerzen sehen mögen.
Auch ohne Teilprothesen.
Malin muss sich hoffentlich einen neuen "Weihnachtswunsch" einfallen lassen...