glückliche Wende

 

Es ist Schmudo. Normalerweise hätten wir den Spitaltermin verschoben, heute nicht. Es spielt keine Rolle, denn die Fasnacht fällt heuer, wie vieles andere auch, der Pandemie zum Opfer.

Der Endokrinologe begrüsst Malin freundlich, er hat sie schon lange nicht mehr gesehen.

Mit ihren Werten ist er zufrieden. Sie sind zwar oft eher tief, aber noch in einem akzeptablen Bereich. Ausserdem spürt sich Malin gut und korrigiert dann ihren Blutzuckerwert nach oben, indem sie etwas Zuckriges isst oder trinkt.

 

Durch die aggressive Chemotherapie erlitt Malin im Herbst 2017 eine sehr schwere und äusserst schmerzhafte Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung). Auf der Bildgebung war ersichtlich: Dreiviertel der Bauchspeicheldrüse wurde durch die Entzündung nekrotisch, das heisst der grösste Teil des Pankreas ist abgestorben - irreparabel. Der verbliebene letzte Viertel schien noch funktionstüchtig. Aber immer dann, wenn beim Chemotherapieprotokoll das Cortison hochdosiert vorkam, war Malins Pankreas "überfordert" und sie musste mit Insulinspritzen korrigierend eingreifen. Nach dem Ausschleichen des Cortisons übernahm die Bauchspeicheldrüse wiederum die Insulinproduktion, das Spritzen war nicht mehr nötig.

 

Bis zu Joels 17. Geburtstag. Da funktionierte auch der letzte verbliebene Viertel des Pankreas nicht mehr. Stationärer Spitalaufenthalt. Diagnose: Diabetes mellitus Typ 1.

Ein erneuter Tiefschlag. Wir versuchten, möglichst gefasst zu wirken, um Malin zu stärken "das schaffen wir!" Tief im Innern aber begann das Hadern - "nicht DAS auch noch!"

 

Irgendwie brachten wir es dann doch auf die Reihe, vor allem dank Malins unerschütterlicher Gelassenheit und der Bereitschaft, auch diese neue, grosse Herausforderung anzunehmen und das Beste daraus zu machen. 

Sie begann sämtliches Essen abzuwägen, die nötigen Einheiten Insulin zu berechnen und zu spritzen. Sie kontrollierte konsequent ihre Blutzuckerwerte und reagierte wenn nötig. Sie lernte in welchen Nahrungsmitteln und Gerichten wie viele Kohlenhydrate drin und wie diese in Insulineinheiten umzurechnen sind. 

Sämtliche Mahlzeiten mussten vorgängig berechnet und gespritzt werden. Spontanes Essen? Nicht mehr möglich. Und eine entlastende Insulinpumpe kam während der Chemotherapie nicht infrage. Die Infektionsgefahr wäre zu gross gewesen.

 

Wir staunten einmal mehr. Sie trug diese neue Bürde - auch diese - mitsamt peroraler Chemotherapie und den zunehmend schmerzenden Beinen.


Nach ungefähr einem Jahr fiel Malin immer häufiger - am Ende gar mehrmals täglich - in ein sogenanntes Hypo. Dabei wurde ihr schwindlig, sie begann zu schwitzen und zitterte stark. Um ihren zu tiefen Blutzuckerwert wieder hoch zu bringen, musste sie rasch reagieren und Traubenzucker und/oder Süssgetränke einnehmen. 

Einige Momente waren durchaus ungemütlich und recht hektisch.

 

Folglich begannen wir, das Insulin langsam aber kontinuierlich zu reduzieren. Einheit um Einheit weniger, bis sie beim Kurz- sowie Langzeitinsulin auf "Null" war. Keine einzige Insulinspritze mehr - und dies bis heute.

 

Der Endokrinologe reagierte anfänglich noch verhalten optimistisch darauf. Mittlerweile aber scheint klar: Malins verbliebener "Pankreas-Viertel" hat sich (zur Überraschung aller) nach Ende der Chemotherapie langsam erholen können und produziert wieder ausreichend Insulin!

Und - meint er - wir dürften durchaus annehmen, dass dies für die nächsten 20, 30, 40... Jahre so bleiben könnte.

Damit hat niemand gerechnet - was für eine unverhofft glückliche Wende!