Malin greift ihr Dienstag-Pillendösli, leert alle "Morgentabletten" auf einmal in ihre Hand, wirft die bunte Mischung mit einem Ruck in den Mund und spült sie mit Wasser herunter. Alle weg.
Ich habe keine Mühe Pillen zu schlucken - aber so viele in dieser Grösse auf einmal - das würde ich kaum schaffen. Sie hat unübersehbar Übung darin...
"Wie viele waren das jetzt?" frage ich sie.
"Alle sechs."
"Weisst du noch, wie du am Anfang kaum eine klitzekleine Pille runterschlucken konntest?"
Sie erinnert sich.
Die Pflegefachfrauen gaben damals ein spezielles Gel auf einen kleinen Löffel, drückten dann die Pille hinein. Mitsamt Gel als Gleithilfe schluckte Malin die Pille widerwillig und mit Mühe herunter. Eine nach der anderen folgte. Ein zeitaufwändiges, unangenehmes Prozedere.
Irgendwann war das Gel nicht mehr nötig und sie schluckte die Tabletten ohne. Stück für Stück. Und jetzt, nach abertausenden von Pillen, schluckt sie alle zusammen, weil's schneller geht.
Die Anzahl Pillen im Dösli hat sich in den letzten Monaten nicht wesentlich reduziert, jedoch farblich und inhaltlich verändert. Die verschiedenen Schmerzmittel sowie der Magenschoner sind längerfristig gesetzt. Auch das Mittel gegen die Schilddrüsenunterfunktion. Die restlichen sind zur Regeneration und Unterstützung der Leber, des Darms, des Blutkreislaufs und des Immunsystems.
Während der Chemotherapie übernahm ich das tägliche Richten der Medikamente. Man musste den Kopf bei der Sache haben, um den Überblick nicht zu verlieren oder gar einen Fehlgriff zu machen. Noch dazu gab es fortlaufend, manchmal sogar täglich, Änderungen zu beachten, da immer wieder unterwartete Chemonebenwirkungen auftraten. Neue Medis, andere Dosierung und dies oft recht kompliziert (eine Stunde VOR dem Essen, eine halbe Stunde NACH dem Essen, ZUM Essen, nicht kombinieren mit diesem und jenem...)
Die Zytostatika in Tablettenform mussten wir mit Handschuhen richten - zu unserem eigenen Schutz. Daran gewöhnte ich mich nie, zumal Malin das ganze Zeug, das wir nicht einmal anfassen sollten, schlucken musste...
Mittlerweile hat sie die Verantwortung über ihren Medikamentenplan übernommen und macht ihre tägliche Ration an bunten Kapseln und Pillen selber parat. Gewissenhaft wie sie ist, vertrauen wir ihr voll und ganz, müssen weder kontrollieren noch nachfragen. Es läuft.
Einzig für lückenlosen Nachschub bin ich zuständig. Kaum ist die letzte Packung eines Medis leer, meldet sie es mir, um ihre persönliche Hausapotheke wieder auffüllen zu lassen.
Wie viele Tabletten sie in den letzten fast vier Jahren wohl schon geschluckt hat? In "Spitzenzeiten" waren es 26 täglich, nun "nur" noch deren 16.
Wenn man einen Durchschnittswert von 18 nehmen würde, dann wären das rund 25'500 Stück. Ohne Spritzen, Hübe, Tropfen, Pulver, Infusionen, Medis in flüssiger Form oder Schüsslersalze mit eingerechnet.
25'500 Tabletten und Kapseln.
Wahnsinnszahl.