umgekrempelt

"Jetzt ässid mier scho über nes Jahr eso. Es chund mier gar nid so lang vor!" sinniert Malin während sie in eine Dattel beisst. Ein gutes Zeichen.

Am 1. März 2020 begannen wir mit unserer Umstellung. Die Integrativärztin hat eindringlich dazu geraten, denn Malin erkrankte - noch durch die Chemo geschwächt - wiederholt an viralen Infekten. Die Ärztin sah darin eine Möglichkeit, den Viren die "Stirn" zu bieten. Salopp ausgedrückt.

Ein Versuch war es wert.

Damals galt er erstmal für einen Zeitraum von vier Monaten.

Vier Monate! Wie lang ist DAS denn?

Es kam uns vor wie eine halbe Ewigkeit! Und als die Ärztin aufzählte, was Malin alles möglichst nicht mehr essen sollte, versanken wir vorübergehend im Selbstmitleid. WAS durfte sie denn überhaupt noch essen?!

 

Kein Weizen. (der ist fast überall drin)

Kein Zucker (und der ist wirklich überall drin...)

Keine Eier/ Nahrungsmittel mit Eiern (auch recht schwierig...)

Keine Milch und Milchprodukte... (kein Käse, kein Joghurt, Quark, Mascarpone...)

Fleisch ja, jedoch kein verarbeitetes oder mariniertes Fleisch (kein Schinken, Salami, Speck, Cervelats, Bratwürste...)

Zusätzlich sollte sie täglich einen halben Liter frischen Stangenselleriesaft trinken. Morgens auf nüchternen Magen.

 

Die ersten Wochen waren kein "Zuckerschlecken". Sinngemäss. Zugegeben, es war hart, zeitintensiv und umständlich. Ich verbrachte unzählige Stunden in Lebensmittelläden, stand oft ratlos vor prall gefüllten Regalen und studierte eine Deklaration nach der anderen, um konsterniert festzustellen, dass wir auf den Grossteil davon verzichten sollten...

 

Nein, einfach war es nicht und ich kam arg an meine Grenzen. Nach stundenlangem Einkauf ging's weiter in die Küche - auch hier stundenlang - da sämtliche Gewürzmischungen, Pasten, Pestos, Brote, Zopf, Teigwaren, Tortillafladen, Lasagneblätter, Burgerbrötchen, Brotaufstriche, zuckerfreie Konfitüre, Kuchen... und, und und...von nun an ausschliesslich hausgemacht werden mussten. Es galt: Entsprechende Rezepte suchen, studieren, anpassen, neue Möglichkeiten herausfiltern. 

Ein grosser Aufwand.

 

Wir experimentierten. Bereiteten Spätzli, Omeletten und Kaiserschmarren ohne Eier und Milch zu (hätte nicht gedacht, dass das überhaupt möglich ist und dazu noch schmeckt!) backten Kuchen ohne Haushaltszucker, Eier, Mehl, Butter... (bei weitem nicht alles wurde tatsächlich lecker - leider) und testeten sämtliche Tofusorten, sowie Linsen, Bohnen, Hülsenfrüchte, Nüsse, kreierten verschiedene Humus- und Weichkäsesorten, Müesli-Crunch, Riegel und vieles andere mehr. Auch der tägliche Gemüse- und Früchtekonsum stieg beachtlich und variantenreich an.

Eine richtige "Küchenschlacht", im positiven Sinn, denn wir haben im letzten Jahr so viel gelernt wie schon lange nicht mehr. Mit der Zeit wurden wir mutiger und routinierter und unsere persönliche Rezeptbox wurde grösser, was uns so einiges erleichterte.

 

Wenn wir anfänglich noch den Moment herbeisehnten, endlich wieder "ganz normal" essen zu dürfen, haben wir uns mittlerweile - nach mehreren unerwarteten "Verlängerungen" - damit abgefunden, dass dem nicht so ist und es teilweise wohl auch so bleiben wird.

Die ersten drei Monate zogen wir das Programm kompromisslos durch. Dann gaben wir den Selleriesaft auf (Malin fand ihn einfach nur schrecklich) und führten unsere "Jokertage" ein, die bis heute bestehen. Und diese setzen wir ganz bewusst und mit grösster Freude ein! Wir haben beispielsweise noch nie einen Raclette-Abend so sehr genossen wie in diesem Winter. Er hatte Seltenheitswert und etwas Besonderes schätzt man anders. Man schätzt es mehr! 

Wir haben uns umgewöhnt - an fast alles. Einiges vermissen wir zwar nach wie vor und in (überraschend) seltenen Momenten fällt es schwer zu widerstehen. Auch das gibt's.

Die Tatsache jedoch, dass Malin seit der Umstellung auffällig gute Blutwerte hat und nie mehr krank wurde (mit Ausnahme des Covid 19), bestärkt uns und macht den doch recht einschneidenden Verzicht und Aufwand grösstenteils wieder wett.

 

Mittlerweile haben wir einige Rezepte im Repertoire, die wir alle richtig lecker finden. Auch Joel und Enya, die ansonsten nach wie vor alles essen.

Im Feld "Rezeptideen" werdet ihr immer mal wieder ein neues davon finden. Vielleicht hat ja jemand Lust, etwas davon einmal auszuprobieren?

So oder so wünschen wir: Ä Guetä!