Seit Monaten sind Malins Blutdruckwerte durchgehend zu hoch. Auch nachts. Etliche Tests wurden bereits gemacht, zweimal trug sie ein 24-Stunden-Messgerät an sich. Im Viertelstundentakt pumpte sich der Beutel am Arm auf und die BD-Werte wurden gemessen. Die Ursache für ihren hohen Blutdruck, wissen wir jedoch noch nicht.
Die Symptome sind allerdings belastend. Malin plagen immer wieder starke Kopfschmerzen und sie ist (noch) müder als sonst schon. Schulbesuch und Lernen für Prüfungen wurden einmal mehr zu einer Belastungsprobe.
Nun sind weitere Kontrollen angesagt. Das Echo sowie die Sonografie des Herzens, dazu diverse Blutwerte, die zusätzlich ausgewertet werden, um allenfalls den Grund für die Hypertonie zu finden.
Der Kardiologe schaut konzentriert auf den Bildschirm, fährt derweil mit dem gelbedeckten Sensor gezielt an die richtigen Stellen.
"Hau mich einfach, oder schrei los, wenn ich zu sehr drücken sollte, gell?" sagt er einmal mehr und lacht fröhlich.
Er wertet die Bilder aus, ist sehr zufrieden.
"Also an deinem Herzen ist rein gar nichts auszusetzen," meint er freundlich scherzend, "daran kann der Bluthochdruck nicht liegen. Alles ist so wie es sein muss!"
Bin unglaublich froh. Denn, ganz ehrlich, machten wir uns schon langsam Sorgen. Zumal bekannt ist, dass die hochdosierte Chemotherapie auch das Herz schädigen kann.
Aufatmen, beim Herzen ist alles so, wie es sein muss.
"Hast du ein Emla geklebt?" fragt die Pflegefachfrau. "Oder brauchst du gar keins mehr?"
"Nei, es gaht guet ohni," erwidert Malin.
Das Venflon wird gesteckt, die Spülung angehängt, dann folgt eine weitere Bisphosphonatinfusion, es ist bereits die fünfte von insgesamt acht.
Malin liegt in einem Zweierzimmer. Ein kleines Mädchen kommt in Begleitung seiner Eltern zur Tür herein und belegt das zweite Bett. Der Vorhang dazwischen wird gezogen, alles vorbereitet. Das Mädchen beginnt zu schreien. Und es schreit so lange und so laut, dass wir uns am liebsten die Ohren zuhalten würden. Das kleine Mädchen tut uns leid, es hat wohl Angst, den Port anstechen zu lassen.
Wie verständlich! Am liebsten würde man das Mädchen vor all dem Zeug verschonen. Geht nicht. Nicht ohne die Chemo, die bereits am Infusionsständer hängt.
Das Mädchen schreit weiter. In voller Lautstärke. Der Vater schaut gequält zu uns herüber und entschuldigt sich bei uns. Muss er doch nicht! Wenn es jemand versteht, dann wohl selber Betroffene.
"Das ist gar kein Problem für uns, wirklich nicht!" versuchen wir ihn zu beruhigen.
Irgendwann wird es still. Das Chemogutterli scheint leer. Geschafft. Die Portnadel wird gezogen, das Mädchen darf sich eine verdiente Mutperle aussuchen und guckt nun keck hinter dem Vorhang hervor zu Malin. Diese lächelt ihr zu und grüsst. Leidensgenossinnen.
Die Onkologin kommt mit den Auswertungen. Malins Blutwerte sind allesamt gut!
Erneutes Aufatmen!
Der Grund für den anhaltenden Bluthochdruck konnte man allerdings noch nicht feststellen.
"Es kann aber durchaus sein, dass dies ebenfalls eine Langzeitnebenwirkung der Chemotherapie ist," erklärt sie.
"Das kommt zwar selten vor, aber dir muss ich ja nichts erzählen von seltenen Nebenwirkungen - du hast ja etliche davon abgedeckt..."
Und zu mir gewandt sagt sie: "Wissen Sie, Malin hatte ihre Diagnose in einem erdenklich schlechten Alter erhalten. Fast alle jüngeren Patienten mit derselben Diagnose schaffen dies recht gut mit kaum Nebenwirkungen und schon gar nicht mit solchen Langzeitfolgen. Malin hat nun so ziemlich alles abgekriegt und dies leider in ausgeprägter Form."
Die Ärztin hat wohl Recht, die anderen Onkologen haben uns das auch schon so erklärt.
Es ist ein Umstand, den wir nicht ändern können und das Alter konnte sie sich auch nicht aussuchen...
Obwohl der Grund des Bluthochdrucks weiterhin unklar ist, wird Malin medikamentös eingestellt. Der Blutdruck muss gesenkt werden.
"Das heisst jedoch nicht zwingend, dass du dieses Medikament nun dein Leben lang einnehmen musst. Es kann durchaus sein, dass sich das Ganze irgendwann wieder einpendelt."
Malin zeigt kaum Regung. Es scheint ihr irgendwie gleichgültig. Ihr Pillendösli ist eh schon voll.
Ein Medikament mehr oder weniger - was macht das für einen Unterschied?
Hauptsache, diese argen Kopfschmerzen bleiben weg.