abgestumpft?

Wie geht man auf schwerkranke Menschen zu? Wie auf Eltern von schwerkranken Kindern?

Was sagt man da? Darf man überhaupt danach fragen? 

Oder so tun als wäre nichts? Einfach ignorieren?

Sollte man eine Begegnung möglichst vermeiden?

Aus dem Weg gehen?

Die Strassenseite wechseln?

Auch das kommt vor. Ich mag es niemandem verübeln. Denn ein Kontakt mit Betroffenen, die unter einer schweren Krankheit leiden, ist nicht einfach. Die Unsicherheit ist gross, schliesslich möchte man weder etwas Falsches sagen noch tun. Ein allgemeingültiges Rezept gibt es nicht dazu.

Es braucht Mut zu fragen. Und es braucht Stärke, eine ehrliche Antwort zu ertragen. Denn oft ist diese nicht wunschgemäss. Sie trifft einen. Löst Hilflosigkeit, Betroffenheit, Unsicherheit aus. 

 

Nicht immer - aber doch meistens - blieben wir gefasst, während wir bei Fragen über Malins Gesundheitszustand Auskunft gaben. An den Augen unseres Gegenübers konnten wir jeweils das Entsetzen, die Betroffenheit, ja eine gewisse Verlorenheit erkennen. Bei manchen liefen die Tränen.

Bei uns oft nicht mehr. 

Ich dachte, jetzt müsste ich doch auch weinen - aber ich weinte nicht. 

Ich funktionierte.

 

"...bin ich vielleicht mittlerweile abgestumpft?" fragt die betroffene Mutter, nachdem sie genau von solchen Erfahrungen auch erzählte. "Die anderen weinen und ich nicht..."

"Nein! Ganz bestimmt nicht!" Und ich erzähle ihr, wie ich es damals erlebt hatte.

 

Man funktioniert, lebt in einem anderen Modus. Man schützt sich selbst, damit man weiter funktionieren und sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Auf das kranke Kind und die Familie. Vieles andere wird ausgeblendet. Zwangsläufig. Die Kräfte müssen sorgsam eingeteilt werden. 

Was vorher wichtig schien, ist es auf einmal nicht mehr. Die Prioritäten verschieben sich. Unfassbar, wie schnell sich alles ändern kann. Auf einen Schlag - über lange Zeit.

 

Rückblickend können wir uns kaum erklären, wie wir diese intensiven Jahre geschafft haben.

Wie bloss? Ich weiss nur, manchmal schrammten wir knapp an einem Zusammenbruch vorbei.

Aber wir funktionierten weiter. Tag für Tag. 

 

Für Malin. Und für Joel und Enya.