"Hesch gwüsst, dass während de Chemo ai ganz viel Hirnzälle abstärbid?" fragt mich Malin so ganz nebenbei.
Das wollte ich gar nicht so genau wissen. Habe solche aufkommenden Gedanken bisher recht erfolgreich ignorieren und verdrängen können. Bis jetzt.
"Chemotherapie hinterlässt Spuren im Gehirn."
"Krebstherapie: Chemo killt gesunde Hirnzellen."
"Chemotherapie beeinträchtigt kognitive Leistungsfähigkeit."
"Konzentrationsschwäche und Gedächtnisverlust unter oder nach einer Krebstherapie"
Eine Schlagzeile löst die andere ab. Keine klingt dabei besser. Ich tat gut daran, dies so lange wie möglich zu verdrängen. Aber jetzt wird es zwangsläufig zum Thema. Dass Malin ihren Schulalltag während den letzten Jahren - trotz vielen therapiebedingten Ausfällen und Spitalterminen - meistern konnte, ist bemerkenswert.
Wir sind zwar stets bemüht, Arzt- und Spitalkontrollen möglichst in Frei- und Ferientagen zu terminieren, aber immer geht dies freilich nicht. Und so fehlte sie im aktuellen Semester zwischen September und Dezember wiederum 37 Lektionen, die es zusätzlich aufzuarbeiten galt.
Es sind letztlich nicht nur die Auswirkungen der hochdosierten Chemotherapie, sondern auch jene der vielen Medikamente, die sie mittlerweile seit Jahren und zum Teil mehrmals täglich einnehmen muss.
Deren Nebenwirkungen sind ebenso einschneidend und beeinflussen ihren Alltag wesentlich. Konzentrationsschwierigkeiten, vermindertes Aufnahmevermögen, Müdigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Verdauungsstörungen, Schwitzen, Bluthochdruck....
Die Liste ist noch recht viel länger...
Bereits vor Monaten haben wir gemeinsam mit der Integrativärztin nach Möglichkeiten gesucht, zumindest ihre Konzentration und ihr Wohlbefinden zu stärken.
Bis jetzt hat sie die Schule geschafft. Irgendwie. Aber nun scheint eine Grenze erreicht. Malins schulischen Leistungen fallen seit ein paar Monaten merklich und stetig ab. Die Schule informiert uns schriftlich über den aktuellen Stand und dieser würde derzeit für die Promotion nicht reichen. Malin reagiert recht gelassen darauf.
Vorsichtig hake ich nach.
"Wie sieht es denn eigentlich aus? Möchtest du gerne im Kollegi bleiben? Oder käme allenfalls auch eine Lehre infrage?"
"Doch, ich wett scho bliebe".
Und sie rechnet mir kurz vor, in welchen Fächern sie noch Luft nach oben sieht. Ihre klare, differenzierte und unaufgeregte Antwort beruhigt. Sie ist zwar unter Druck, aber sie scheint durchaus optimistisch und schafft es im Moment, dem Druck standzuhalten ohne ihn grösser werden zu lassen. Hoffen wir, es bleibt dabei. Eine Option wäre noch der Nachteilsausgleich, den sie in Anspruch nehmen dürfte. Doch das will sie im Moment (noch) nicht.
Sie weiss also, was sie will und dafür wird sie kämpfen. Und kämpfen, das kann sie. Das wissen wir.
Aber wir wissen auch, dass verschiedene Wege zum Ziel führen können.
Wenn es nicht dieser ist, wird es ein anderer sein.
Ebenso gut und genauso richtig.