Wunderschöner Dienstag. Enya packt noch ihre letzten Sachen ein, zwängt sich in ihre Skischuhe, klemmt Skier, Helm und Stöcke unter die Arme und zieht topmotiviert los. Schulskitag. Als Alternativprogramm haben Malin und ich geplant, an einem gut erreichbaren sonnigen Platz etwas Feines essen zu gehen.
Ablenkungsmanöver.
Denn im Verlauf des Tages werden mit Sicherheit unzählige Bilder und Videos über die sozialen Medien gepostet. Von strahlenden Schulkollegen, die auf ihren Brettern ihre Kurven in den Schnee ziehen sowie gemeinsam schon fast akrobatische Kapriolen zum Besten geben.
Und ich kenne meine Tochter. Sie wird es trotz allem nicht sein lassen, sich die Bilder und Filme anzusehen und dabei still bedauern, nicht auf ihrem Board mit dabei sein zu können.
Und - sie wird kein Wort darüber verlieren.
Unser Plan fällt jäh ins Wasser.
Malin liegt am Morgen mit schmerzverzerrtem Gesicht im Bett, kann sich nicht bewegen. Ihr linkes Knie ist 90 Grad angewinkelt und lässt sich weder beugen noch strecken. Völlig blockiert. Auch seitwärts kann sie es kaum bewegen ohne grösste Schmerzen auszulösen. Möglichst reglos liegt sie da, bleich im Gesicht und den Tränen nahe.
"Ich ha s'Bei bim Schlafä aazogä und de heds klöpft", erklärt sie.
Und jetzt? Was tun? Und vor allem wohin?
Hausärztin? Sie wird kaum etwas ausrichten können, es ist klar ein orthopädischer Eingriff.
Notfall Stans? Malin war noch nie dort, ihre Krankengeschichte kennt man dort nicht. Aber für eine Spritze würde es sicher gehen...
Nach Basel ins Unikinderspital? Unter Schmerzen ein langer Anfahrtsweg für vielleicht nur eine Spritze und ein schnelles Lösen des Gelenkes - macht das Sinn?
Ins Kispi Luzern? Dort wurde und wird sie auch weiterhin onkologisch betreut, sie kennen sie seit Jahren. Im orthopädischen Bereich allerdings ebenso wenig wie in Stans. Ausserdem ist sie seit gut zwei Wochen volljährig, Orthopädie im Kispi oder auf der Abteilung für Erwachsene?
Telefonisch klappere ich Nummer um Nummer ab, werde weiter verwiesen. Schliesslich rufe ich auch noch den Onkologen an, vielleicht weiss er, an wen wir uns wenden sollten?
Auch er ist unschlüssig, rät uns aber schliesslich, direkt auf die Notfallstation nach Basel (UKBB) zu fahren. Ausserdem gibt er ein stärkeres Schmerzmittel an, um die akuten Schmerzen etwas zu lindern. Wir haben es zum Glück noch vorrätig.
Malin ersorgt sich die Autofahrt nach Basel. Wie sollte sie es mit ihrem schmerzenden, angewinkelten Bein so lange im Auto aushalten können? Wie soll sie es überhaupt die Treppe hinunter ins Auto schaffen?
Also entscheiden wir uns kurzerhand, es doch zuerst in der Notaufnahme in Stans zu versuchen in der Hoffnung, dass sie dort zumindest die Schmerzen lindern, vielleicht ja sogar die Blockade lösen könnten.
Am Boden sitzend rutscht Malin langsam Stufe für Stufe die Treppe hinunter. Mit Hilfe der Stöcke schafft sie es bis zum Auto.
Ihr Bein wird geröntgt und nach mehreren Stunden warten (währenddessen schaut sich Malin etliche gepostete Bilder und Filme vom Skitag an) wird uns dann schliesslich mitgeteilt, der Fall sei sehr komplex, eine Operation wäre nötig. Sie könnten leider nichts tun, wir müssten nach Basel in die Uniklinik. Sie hätten Malin bereits angemeldet.
Ich fasse es nicht. Diesen Tag hätten wir uns sparen können.
Wären wir doch bloss heute Morgen direkt nach Basel gefahren!
Im Nachhinein weiss man es immer besser. Die Hoffnung war halt da.
In den letzten Jahren haben wir schon viele Stunden, ja Tage und Wochen bei schönstem Wetter im Spital verbracht. Wir sind echt erprobt darin.
Aber heute - heute hatte ich besonders Mühe damit. Und das, obschon mir - im Gegensatz zu Malin - körperlich rein gar nichts weh tat.