Wir machten sie früher oft. Die Gedankenreise. Wenn Malin nicht einschlafen konnte. Wenn wir die langen Spitaltage irgendwie zu überbrücken versuchten. Wenn sie Schmerzen hatte. Wenn wir frustriert, ängstlich oder traurig waren.
In Gedanken reisten wir dann an allerlei mögliche und unmögliche Orte und malten uns in Worten ganz genau aus, wie es dort sein. wie es sich dort anfühlen würde.
Auch liefen wir - als unser Anbau noch nicht stand - in unserer Vorstellung gemeinsam unzählig oft in die schöne neue Küche, haben zusammen Tee gekocht und Kuchen gebacken, sind damit die Treppe hochgestiegen, um auf der Terrasse die wärmende Sonne aufzutanken. Fast genau so, wie wir es jetzt wirklich tun.
Und so lag der Körper zwar im Kispi, aber der Geist wanderte den Berg hoch, erkundete Wälder, backte Kuchen, traf Freundinnen, spielte Klavier, fuhr Snowboard, badete in See und Meer, radelte dem Aawasser entlang...
Es tat irgendwie gut, obwohl nicht real, und es half und tröstete über so manches hinweg.
"Weisch no, wiä mängisch mier i Gedankä scho i derä Chuchi gsi sind, bevor sie überhaupt gstande isch?" sinniert sie.
Ja, oft. Sehr oft.
Sie erzählt, dass sie noch heute manchmal solche Gedankenreisen macht und auch oft träumt.
Im Traum allerdings kann sie meistens schmerzfrei gehen und ist weder mit Stöcken noch Rollstuhl unterwegs.
Dafür steht sie oft auf dem Snowboard. Aber jedes Mal kommt dann eben jene grosse Schanze mit diesem weiten Sprung. Noch in der Luft gerät sie in Panik. Hat Angst, die Landung aus dieser Höhe könnte allzu schmerzhaft sein und ihre Knie würden diesem Aufprall nicht standhalten können.
Wie es im Traum dann tatsächlich wäre, weiss sie bis jetzt nicht. Sie wacht immer vorher auf.
Heute vor genau fünf Jahren war jener herrlich sonnige und so einschneidende Montag, als bei Malin akute lymphatische Leukämie diagnostiziert wurde.
Heute genau vor drei Jahren wurde die hochdosierte Chemotherapie beendet.
Und heute genau in zwei Jahren, mit weiteren onkologischen Kontrollen alle drei Monate, wird sie als geheilt gelten.
Zurück bleiben Spuren. Verschiedene körperliche Baustellen als Folgeschäden der intensiven Therapie.
Wir sind zuversichtlich, blicken nach vorn und gehen eine "Baustelle" nach der anderen an.
Als nächstes werden Malins Beine operiert. Mit klarem Ziel, endlich schmerzfrei zu sein.
Und bald - so hoffen wir - werden die Gedankenreisen durch reale Schwünge im Tiefschnee, ausgedehnte Spaziergänge in Wald und Stadt, gemeinsame Wanderungen von Gipfel zu Gipfel abgelöst.
Schöner Gedanke.