Alternativprogramm

Sie hat gelitten. Hat die erste Nacht nach der OP kaum geschlafen. Auch der folgende Tag war grenzwertig. Bleich mit grossen Augenringen sitzt sie im Bett und weiss kaum, wie sie das Bein halten sollte. Es ist weder die Naht noch das Knie selbst, das so schmerzt. Es sind die Muskeln, Sehnen und Bänder, die nach fast fünf Jahren Streckdefizit entsprechend verkürzt und verkümmert sind.

Die Prothese lässt nun eine Streckung zu, der Rest allerdings ist noch nicht soweit und muss mit viel Training und Physioübungen wieder aufgebaut beziehungsweise gedehnt werden.

Der junge Arzt erklärt Malin, es sei etwa so, als ob man jemanden untrainiert in den Spagat drücken würde. Allein schon die Vorstellung schmerzt.

 

Sie erhält stärkere Analgetika. Die nächsten Tage werden besser.

Familie, Freunde und Lehrer kommen zu Besuch, es ist ein reges Kommen und Gehen, was sie sehr freut - und ablenkt.

"Ich ha diä Wuche im Spital meh Bsuech gha, als all diä Jahr vorhär mitenand!" stellt sie nüchtern fest.

Es stimmt. Basel und Stuttgart waren zu weit weg. Schlecht möglich, nach der Schule schnell vorbeizuschauen. In Luzern auf der Onkostation war sie oft zu schwach und zu krank für Besuch. Ausserdem waren Besucher nur bedingt erwünscht, denn diese brachten ungewollt Keime von draussen mit, was eine zusätzliche Gefahr für die immunsupprimierten Kinder und Jugendlichen auf der Station bedeutete.

 

Am Samstag darf sie bereits nach Hause. Sie freut sich, Luftsprünge allerdings macht sie definitiv noch keine. Schon das Einsteigen ins Auto erweist sich als schmerzhafter Kraftakt, weil sie das Bein weder richtig anwinkeln, heben noch strecken kann. Die nächsten Hürden sind die Treppen zu Hause, die wir leider nicht wegzaubern können.

Es braucht viel Zeit, aber sie schaffts.

Zeit haben wir ja jetzt genug. Es ist Fasnachtsferienbeginn. 

 

Die Fasnacht wird heuer allerdings ohne sie stattfinden. Klar, sie könnte am Nachmittag mit dem Rollstuhl hingehen. So wie letztes Jahr auch. Die Gefahr jedoch, dass in der dicht gedrängten Menschenmenge an ihr operiertes und noch schmerzendes Bein gerempelt wird, ist ihr zu gross. Auch schon ist ein Angetrunkener über den Rollstuhl gestolpert und auf sie gekippt. Solange nichts weh tut, ist das ja nicht weiter tragisch. Aber jetzt möchte sie es nicht riskieren. Also geht sie nicht, obwohl sie zu gerne mit dabei wäre.

Ich schlage ihr vor, wegzufahren. Irgendwohin, wo keine Fasnacht ist. Einfach weg.

Joel hat Schule, Enya geht mit ihren Freundinnen an die Tagwache und wir fahren zu dritt los - nach Aarau. Meine Schwester reist aus Bern an und gesellt sich zu uns, was uns sehr freut. Nun sind wir in gemütlicher Runde in Aarau unterwegs. Ein schönes Städtchen, das wir so noch nicht kannten. Es mag wohl als Alternativprogramm zu unserer Fasnacht nicht ganz mithalten, aber es wird ein durchaus schöner Tag.