Rückschlag

Die Schmerzen sind stärker. Am linken Bein, weil die Gelenkkapseln durch die Operation noch angeschwollen seien und es noch eine ganze Weile dauern könne, bis diese Schwellung weg sei, erklärt der Orthopäde. Und das rechte Bein schmerzt, weil die Knochen ausgeprägt nekrotisch sind und das Bein in den letzten Monaten durch die OP des linken Beines überbelastet wurde.

Immer wieder scheint sich etwas im Gelenk zu verklemmen. Ähnlich wie damals beim linken Bein schon, als sie letztlich in Basel operiert werden musste, weil sich der abgelöste Knorpel im Gelenk verkeilt hatte. Das Bein war rechtwinklig völlig blockiert und die Schmerzen entsprechend gross.

Jetzt ist es so, dass bei gewissen Bewegungen das Kniegelenk schmerzhaft blockiert wird. Manchmal löst es sich bald wieder, manchmal geht es allerdings länger, Stunden oder sogar Tage.

Der Schmerz ist vorübergehend so heftig, dass ihr regelmässig schwarz vor Augen und übel wird. Manchmal hätte sie auch das Gefühl, fast ohnmächtig zu werden, erzählt sie.

Wie immer lässt sie sich davon kaum etwas anmerken. Das hat sie sich in den letzten Jahren beinah zur Perfektion antrainiert. Sie kann wahrlich mit Schmerz - auch grösstem Schmerz - umgehen. Sie verdrängt ihn. Überspielt ihn. Ignoriert ihn. So wie es eben gerade geht.

Oft schon habe ich mich gefragt, wie sie das in all den Jahren hingekriegt hat.

 

Am Montag Nachmittag geht's dann aber nicht mehr. Erneute anhaltende Blockade. Der starke Schmerz hält hartnäckig an. Sie ruft an, ob wir sie von der Schule abholen könnten.

Am Dienstag geht sie wieder zur Schule. An Stöcken. Es geht nicht anders. Das rechte Bein belastet sie nicht mehr. Zu schmerzhaft. Am Abend dann ihr wohl letztes Klaviervorspiel. Ausgerechnet jetzt.

"Gaht scho," sagt sie nur.

Und hält durch. Hat aber offensichtlich schon Mühe, mit den Stöcken zum Flügel zu laufen.

Sie setzt sich hin, spielt ihr Stück. Zum Glück auswendig, denn am Anfang des Stücks sieht sie vor lauter Schmerz nur schwarz. Trotzdem spielt sie. 

"Warum hast du nicht einfach gesagt, tut mir leid, es geht jetzt einfach nicht - ich kann nicht spielen...?" frage ich sie später und ergänze nachdrücklich:

"Das darfst du - wirklich!"

"Nei," sagt sie nur, "es gaht ja de scho - irgendwiä."

 

Ja, irgendwie geht's wohl immer. Zurzeit stehen viele Prüfungen an - und die Mottowoche. Jeden Tag verkleidet zu einem Thema. Eine coole Sache. Einziger Wehrmutstropfen: Dieser neuerliche Rückschlag mit den Schmerzen und dem immer wieder blockierten Bein.

Es tut mir leid für sie. Die vergangenen Wochen sahen vielversprechend aus und wir hätten ihr so gegönnt, diese letzten Wochen vor Maturaende noch einigermassen schmerzfrei und beweglich zu sein.

Stattdessen dieser Rückschlag. 

 

Die Ärztin passt die Schmerzmitteldosis nach oben an, das Maximum wird ausgereizt. Eine Gratwanderung zwischen Schmerz, Linderung und zugedröhnt sein. Jetzt, während der Lernphase für die Maturaprüfungen alles andere als förderlich. Malin ist dauermüde. Nach den schriftlichen Prüfungen am Morgen schläft sie jeweils den ganzen Nachmittag. Anschliessend versucht sie weiter zu lernen. Mit Mühe. Sie schläft immer wieder ein. Mit kalten Fussbädern versuchen wir, den Kreislauf wieder anzukurbeln. Mässig erfolgreich.

Immerhin, zwischenzeitlich löst sich das blockierte Gelenk immer mal wieder, die Schmerzen werden entsprechend erträglicher und sie kann wieder zu Fuss und ohne Stöcke gehen - bis es aus heiterem Himmel ganz plötzlich wieder verklemmt.

Jetzt sind es noch genau zwei Monate, bis die zweite Prothese eingesetzt wird. Zum Glück absehbar.

 

Die letzten mündlichen Maturaprüfungen stehen an. 

Wir drücken ihr die Daumen. Und wie!

Mehr bleibt uns nicht.