solum fac id

"Ich ha bestandä", steht da. Das reicht. Die drei Worte reichen uns, um in einen regelrechten Freudentaumel auszubrechen. Die Freude ist riesig, die Erleichterung ebenso und die Anspannung der letzten Wochen auf einen Schlag weg.

Als Malin erfährt, dass sie die Matura bestanden hat, brechen die Dämme und ihre Tränen rinnen ungehemmt, so dass ihre MitschülerInnen sich nicht mehr ganz so sicher sind, ob sie es auch wirklich richtig verstanden hat.

"Malin, du hast bestanden", versuchen sie klarzustellen.

"Ich weiss scho..." erwidert sie unter Tränen.

Die ganze Anspannung, der ganze Stress, die Unsicherheit und der Druck, ob es letztlich reichen würde oder nicht, ob sie diese nächste Hürde trotz zusätzlichen Schmerzen und Müdigkeit auch noch packen könnte oder nicht. 

Jetzt ist die Antwort da: Bestanden!

Sie hat es gepackt! Was sind wir froh!

 

Vor einigen Wochen war ich völlig überzeugt davon, dass sie diese letzte Hürde gut meistern würde. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Nach allem, was sie schon durchgestanden hatte, würde sie dies auch noch schaffen, dachte ich.

Dann diese neuerlichen Schmerzen durch plötzlich auftretende, unkontrollierbare Blockaden im rechten Kniegelenk. Ausgerechnet jetzt! Die Medikation der Schmerzmittel wird von den Ärzten nach oben angepasst. Mehr Schmerzmittel = mehr Nebenwirkungen. Eine einfache Gleichung mit einschneidenden Auswirkungen. Das Lernen wird zu einer noch grösseren Herausforderung als zuvor schon. 

Entsprechend gelingen ihr einige Prüfungen nicht. Enttäuschung. Sich wieder aufrappeln. Müdigkeit ignorieren. Aufkommender Druck ignorieren. Kalte Fussbäder. Gutes Zureden.  

"Und? Wie ist es gelaufen?" schreibe ich ihr in einer Kurznachricht nach einer weiteren Maturaprüfung, dazu wahlweise einen Daumen hoch, einen Daumen nach unten, einen seitwärts. Sie nimmt keinen der drei. Stattdessen ploppt ein Totenkopf auf. 

Meine Güte! Langsam wird mir flau. Leise, fiese Zweifel fangen an zu nagen.

Was ist, wenn sie nicht bestehen wird? Darf gar nicht daran denken. Der ganze Krampf der letzten Jahre umsonst? Denn nochmals wiederholen will sie nicht. Verständlich. 

Wir tun, was wir tun können. Aufmuntern, gut zureden, kalte Fussbäder, damit sie wieder wach wird, bunter Pausensnack, Tee, Kaffee... und nochmals gut zureden.

Es wird schon gut! Es MUSS einfach gut werden!

 

Sieben Jahre Kollegi. Malin erkrankt im Frühling des ersten Schuljahrs. 10 sehr intensive Monate und viele lebensbedrohliche Momente später besucht sie (noch während der hochdosierten Chemotherapie) für 1-3 Lektionen täglich erstmals wieder die Schule. Ein regelrechter Kraftakt. Eineinhalb Jahre nach ihrer Diagnose besucht sie (noch immer in der Chemotherapie) wieder regulär den Unterricht. Sie repetiert das verpasste Jahr, versucht sich in die neue Klasse zu integrieren. Weitere Spitalaufenthalte in Stuttgart, Basel, Luzern, Stans, weitere Operationen und neue Diagnosen, unzählige Medikamente und Infusionen, 4 Wochen REHA in Deutschland, 40 Halbtage Überdrucktherapie in Basel, regelmässige Kontrolltermine bei diversen Fachärzten (Onkologie, Augenarzt, Angiologie, Endokrinologie, Rheumatologie, Anästhesie, Gynäkologie, Kardiologie, Orthopädie....) führen dazu, dass sie auch in den folgenden Jahren mehr als 1000 Stunden fehlen wird. Sehr viel Zeit.

Sie kämpft sich die nächsten sechs Jahre durch, holt sämtliche Prüfungen und Versäumtes so gut wie möglich nach. Trotz dauernden Schmerzen, trotz massiven Einschränkungen, Nebenwirkungen und Spätfolgen.

Und - das ist ganz besonders bemerkenswert - sie behält trotz allem stets ihr Lachen und ihre positive Ausstrahlung.

Das diesjährige Maturamotto gilt für sie schon seit Jahren: "Solum fac id", was soviel heisst wie: Mach's einfach!

 

Nun hat sie es geschafft. 

Sie wird namentlich aufgerufen. Da geht sie, in ihrem festlichen Kleid, langsam Richtung Bühne. Eine Freundin läuft zu ihr hin, streckt die Hand entgegen, um ihr die Treppe hoch zu helfen. Bin dankbar dafür. Der Regierungsrat gratuliert und überreicht Malin ihr Zeugnis. Applaus. Für sie.

Und für alle anderen, die wohlverdient da vorne auf der Bühne stehen.

Bin tief berührt. Lausche den unterhaltsamen, kurzweiligen Reden, der grossartigen Musik, dem Chorgesang der nun offiziell ehemaligen Maturanden. Entspannt. Glücklich. Unglaublich stolz auf unsere Tochter, die in diesen sieben Jahren um ihr Leben gekämpft und unter erschwerten Bedingungen und mit vielen gesundheitlichen Einschränkungen ihren Weg unbeirrt weiter gegangen ist. 

Nun hat sie die Matura geschafft. 

Bewundernswert stark.

Einfach grossartig!

 

Solum fac id.