Der Mensch vergisst. Und je älter er wird, desto mehr vergisst er. Das ist der Lauf der Zeit. Und doch gibt es wohl bei jedem einzelnen von uns gewisse einschneidende, berührende, schöne oder auch traurige Momente und Erlebnisse, die unvergessen bleiben. Man kennt noch jedes Detail und weiss, wo man wann mit wem zu eben diesem Zeitpunkt war - und wie man sich dabei gefühlt hatte.
Es scheint fast so, als wären diese Erinnerungen im Gedächtnis auf Ewigkeiten eingraviert.
Der Tag von Malins Diagnose ist ebenfalls so verewigt in unseren Erinnerungen.
Das Wetter ist wunderbar. Warm und sonnig. Nach meiner Kontrolle bei der Hausärztin frage ich beim Patientenempfang, ob sie kurzfristig noch einen Termin frei hätten für meine Tochter.
"Ja, das geht. Sie können heute Nachmittag um 14:00 Uhr mit ihr vorbei kommen."
Mittags sitzt Malin mir gegenüber am Esstisch, in Jeans und einem karierten Hemd, die Haare hochgesteckt. Gut sieht sie aus - aber müde und bleich. Sie stochert lustlos in ihrem Teller herum, bemüht sich, doch noch ein paar Bissen herunterzukriegen. Schmal ist sie geworden. Was ist bloss los mit ihr? Vielleicht das pfeiffersche Drüsenfieber, denke ich.
Wir schliessen die Haustür hinter uns. Enya, Joel und ein Freund von ihm sitzen auf dem Trampolin im Garten. Ich rufe ihnen zu: "Wir sind bald wieder da! Bis später!"
Ich sollte mich täuschen. Wir kommen nicht mehr nach Hause. Nicht einmal packen und verabschieden können wir uns.
Es ist der Start in eine Zeit, die rückblickend tatsächlich oft grenzwertig war. Für Malin und auch für uns als Familie. Das Leben hat sich für uns alle innert weniger Stunden gedreht, in eine Richtung, die niemand erwartet hätte.
Nie - nicht eine Sekunde lang habe ich daran gedacht, dass ein Kind von uns an Krebs erkranken könnte. Ich hatte auch keine Angst davor, denn der Gedanke daran existierte ganz einfach nicht.
Bis zum 24. April 2017.
Malins Geschichte - unsere Geschichte nahm ihren Lauf.
Vieles davon steht in den mehr als 400 Beiträgen, die ich seither geschrieben habe. Eine ganze Menge.
Hätte ich so nicht gedacht. Hat sich einfach so ergeben.
Und wenn ich manchmal "zurücklese", staune ich schon, was Malin geschafft hat. Wie sie in den letzten sieben Jahren gekämpft und gelitten und dabei nie aufgegeben hat.
Die Blutwerte der letzten grossen Onkokontrolle im Kinderspital sind allesamt im grünen Bereich und die Onkologin freut sich ganz besonders darüber, dass Malin so gut zu Fuss unterwegs ist.
"Das ist ja schön, dich so gehen zu sehen! Und dies ohne Stöcke! Das ist ein richtiger Aufsteller!"
Nach der Kontrolle schauen wir uns ein letztes Mal auf der Onkologie- Station 2. West im Kinderspital um. Viel Zeit verbrachten wir hier. Ein eigenartiges, gemischtes Gefühl.
In den letzten Jahren wurde Malin sehr engmaschig onkologisch kontrolliert. Zukünftig noch einmal jährlich. Denn heute, sieben Jahre nach der Diagnose und fünf Jahre nach Chemo- und Therapieende, gilt sie offiziell als vom Krebs geheilt!
Ein besonderer Tag an einem besonderen Datum: 24. 4. 24.
Heute wird er für uns zu einem Feiertag, denn wir haben Glück - Malin lebt!
Wir sind so unglaublich dankbar dafür, im Wissen, dass trotz immer besseren Therapien und medizinischer Versorgung leider nicht alle krebsbetroffenen Kinder und ihre Eltern dieses Glück haben.
Wir denken so oft an sie...
Heute sind Malin und ich gemeinsam unterwegs.
Das Wetter spielt zurzeit einige April-Kapriolen und ist, ganz im Gegensatz zum 24. April 2017, kalt und regnerisch. Die Berge um uns herum sind allesamt angeschneit.
Aber das stört uns nicht. Wir geniessen den für uns besonderen Tag und schliessen ihn mit einer feinen Pizza im Restaurant ab, zusammen mit Padi, Joel und Enya.