Erste Punktion am ersten Tag.

Nach der Punktion wird Malin wieder aufs Zimmer gerollt. Sie schläft noch, wacht langsam auf. Sie redet wirres Zeug, ist noch halb im Delirium. Damit die Chemo gut ins Hirnwasser beziehungsweise in den Kopf gelangt, muss Malin für zwei Stunden in Schräglage liegen, den Kopf nach unten.

 

Herzultraschall, etliche Blutentnahmen, Infusionen, viele Medikamente und Tabletten. Die ersten Tage laufen ab wie in einem Film. Ein Termin nach dem anderen, ein Arzt nach dem anderen. Jeder erklärt irgend etwas, gibt dem nächsten die Türklinke in die Hand. Mein Kopf ist voll, ich funktioniere einfach irgendwie. Onkologen, Radiologen, Gynäkologen, Anästhesisten, Chirurgen, Assistenzärzte, Psychologen, Seelsorger, Ernährungsberaterin, Sozialarbeiter, Pflegefachfrauen.... Wir erhalten Blätter, Unterlagen, Ordner, Bücher zum Lesen, Studieren, Unterschreiben. Dauernd hornt der Monitor oder piept der Infusomat. Tag und Nacht. Immer wieder. Mein Kopf droht zu platzen.

Bin irgendwie anwesend, versuche zuzuhören, aufzufassen, zu speichern, was die mir da alles erzählen. 

Von unserem Umfeld erhalten wir unzählige WhatsApp. Alle sind fassungslos. Können es nicht glauben. Wir auch nicht.

Und immer wieder spukt das Wort "Leukämie" im Kopf herum. Fühle mich weit weg von der normalen Welt, wie in Watte verpackt, nichts dringt mehr durch. Wir sind in einer völlig neuen, anderen Welt - isoliert - im wahrsten Sinn des Wortes.

 


Seit Montag habe ich kaum etwas gegessen. Ich zwinge mich nach unten zu gehen, um beim Automaten am Ausgang schnell ein Sandwich zu holen. Das Münz ist eingeworfen, das Thunfischsandwich bewegt sich, bleibt jedoch stecken. 

NEIN! Bitte nicht jetzt! 

Bei der "Anmeldung" erkläre ich mein Sandwichproblem. Die haben sicher einen Schlüssel für diesen Kasten.

Haben sie nicht.

Ich solle einfach die Telefonnummer anwählen, die am Automaten steht, dann könnten die mir das Geld wieder zuschicken, sagt mir die Dame bei der Anmeldung. 

Was!? 

Ich will doch kein Geld, ich will einfach möglichst schnell etwas essen!

Genau dieses Tröpfchen bringt das Fass zum Überlaufen. Dieses blöde festgesteckte Thunfischsandwich gibt mir den Rest. Spüre, dass ich einen Heulkrampf kriege und laufe einfach wortlos davon. Nur schnell weg! 

Ins Zimmer kann ich nicht, also gehe ich aufs Klo im zweiten Stock. Bleibe dort, bis ich mich beruhigt habe. 

Dann gehe ich zurück zu Malin.

Gegessen habe ich nichts.

 

Wir reden viel - und irgendwann am Abend fragt sie mich: "Han ich ächt em Gott zwenig danked für mis Läbä, dass ich jetzt so chrank bi?" 

Das tut weh. 

Nein, Malin - du hast alles richtig gemacht!