Ein Tag wie kein anderer

Montag, 24. April 2017                                                                Foto: Malins "Monitorfinger" in der Nacht...

 

Es ist Montag.

24. April 2017. Die Sonne scheint, ein herrlicher Tag und dies in den Osterferien. Was will man mehr?

Arzttermin am Morgen, ich muss mein operiertes Bein neu einbinden lassen. Alles in Ordnung. Wenn ich schon mal hier bin frage ich gleich, ob ich mit Malin noch vorbei kommen könnte. Sie ist einfach seit einiger Zeit nicht fit, aber auch nicht richtig krank, hat irgendwie keine Energie, ist einfach nicht so wie sonst. Wir können. Um 14.00 Uhr sitzen wir im Wartezimmer.

 

Letzte Nacht hustete sie stark, die Kartoffelwickel scheinen nicht zu wirken. Sie isst und trinkt - zwar ein bisschen weniger als sonst, aber sie sitzt stets mit uns am Tisch. Auch das z'Mittag heute isst sie mit uns. Sie wirkt zwar müde, sieht aber gleichwohl gut aus mit ihrem hochgesteckten Haar. Wahrscheinlich wird mich unsere neue Ärztin für eine überfürsorgliche Mutter halten. Schliesslich ist es kaum zehn Tage her, seit Malin bei ihr den erforderlichen Gesundheitscheck machen musste, damit sie an der nächsten Ruderregatta mitstarten darf. 

Alles war in Ordnung.

 

Herz und Lunge werden abgehört, die Milz wird abgetastet, der Finger gepikst. Wir warten auf den Befund. Es geht eine halbe Ewigkeit, bis die Ärztin wieder in den Raum tritt und erklärt, dass wohl ein Messfehler vorliege. 

Das könne passieren, sagt sie. Sie müssten nochmals Blut nehmen, diesmal von der Armbeuge. Wieder warten wir. Lange.

Wieder ähnliche Blutwerte. Sie sagt, die Milz scheine grösser als normal, sie möchte gerne ein Röntgenbild und melde uns gleich in der Notaufnahme Stans an. Wir sollten direkt gehen.

Etwas aufgewühlt aber durchaus zuversichtlich treffen wir dort ein und das ganze Prozedere läuft erneut ab. Malin wird Blut entnommen. Wir warten - und warten. Und dann kommt die zuständige Ärztin mit betroffener Miene, redet von bösartigen Blutzellen, schlechten Blutwerten. Und dann - es ist wie ein Schlag ins Gesicht - fällt das erste mal das Wort "Blutkrebs".

Bin wie betäubt. Malin liegt ruhig da, ich sehe nur kurz ein paar Tränen herunterkullern.

 

Wir werden direkt in den Notfall im Kispi Luzern weiterverwiesen. 

Die Gedanken sind durcheinander. Versuche, Padi zu erreichen. Geht nicht. Endlich ruft er zurück. Rede wohl ziemlich wirr, aber er versteht, dass etwas mit Malin nicht gut ist, er versteht, dass er nach Luzern kommen muss. 

Und wieder muss sie viel Blut geben - und warten. Diesmal kommt die Hoffnung auf einen möglichen Irrtum dazu.

Mittlerweile ist Mitternacht. Unsere Hoffnung wird jäh zerschlagen. Der Onkologe kommt eigens von zu Hause, um mit uns zu reden.

 

Malin hat akute lymphatische Leukämie! 

 

Er erklärt uns die Therapie auf einem Plan. Irgendwie sehe ich es nicht mehr richtig. Alles verschwommen im grellen Licht der Notfallstation. Was mir bleibt, sind Satzfetzen wie zwei Jahre Therapie, intensiv, lange stationär, gute Chancen, Chemotherapie, morgen ist bereits Start...

Wir werden auf die Abteilung geführt.

"Hier ist ein allgemeiner Kühlschrank, wir werden ein Körbli mit Ihrem Namen beschriften."

Wie in Trance laufen wir mitten in der Nacht der Pflegefachfrau durch den beleuchteten, gespenstig ruhigen Korridor nach.

"Und das ist die Kaffeemaschine für die Eltern, da dürfen Sie sich jederzeit bedienen. Sie können sich dann auf der Liste eintragen."

Alles kommt mir so unwirklich vor. Ich möchte weder ein Körbli noch eine Kaffeeliste!

Ich will einfach nur heim - mit Malin!

Leukämie!

Das kann doch nicht sein! Nicht unsere Malin...!

Bin wie erstarrt.

Fassungslos. 

Es zieht uns regelrecht den Boden unter den Füssen weg.

 

Um zwei Uhr morgens, genau zwölf Stunden nach unserem Arztbesuch, liegt Malin verkabelt an Infusomat und Monitor, isoliert in einem Einzelzimmer - Nummer 218 - auf der Onkologieabteilung im Kispi. Ich liege in einem Zustellbett neben ihr. Padi ist nach Hause zu Enya und Joel gefahren.

 

Sie schläft ein. 

Ich liege wach. 

Fast die ganze Nacht. 

Tränen rinnen. Die ganze Zeit. Bis keine mehr kommen. Habe Angst.

Vielleicht doch nur ein schlechter Traum? Aber irgendwann wache ich auf und liege noch immer auf dem Klappbett. Versuche mich im Dunkeln zu orientieren. Wo bin ich? 

Sehe Malin liegen, verkabelt.

Es ist kein Traum!

 

Malin wird mit dem Bett in den OP in den ersten Stock gerollt, sie hat ihre erste Hirnwasser- und Knochenmarkpunktion vor sich. Gestern noch genossen wir den sonnigen Frühlingstag - heute Morgen bekommt sie bereits die Chemo ins Hirnwasser.

Ihr Kampf beginnt.

 

Und immer wieder sehe ich sie innerlich vor mir: Lachend mit ihren Freundinnen - sportlich unterwegs im Ruderboot - scherzend - hübsch frisiert und strahlend bei Anlässen - manchmal "pubertär bockig" zu Schwester, Bruder und uns - fürsorglich zu ihren Meerschweinchen....

 

Immer wieder die Hoffnung aufzuwachen von diesem elenden Traum. 

Immer wieder die Ernüchterung. 

Malin geht es genauso. 

 

Es geht uns noch lange so.

 

 

 

 

 

 

 

 

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